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Elementi 04: Südtunesische Wüste

von Sybille Matzenauer "als Reise nach Innen und Aussen"

Ich möchte Euch erzählen von den Farben, den Gerüchen und den Lauten der Wüste. Vom Frieden dort und dem wütenden Atem des tosenden Sandsturms. Von der Hitze, der Kälte und von den Bewohnern, den Menschen, den Tieren und Pflanzen. Was sie war, als Terrain für die Wissbegier unserer offenen Herzen und Ohren. Auch von dem, was sie uns als Geschenk mitgab: Die Erinnerung. Aber all das konnte nur so werden, weil es gerade unsere Gruppe war – jeder Einzelne als Mosaikstein zum Ganzen. Doch, lasst uns von Anfang an beginnen.

Zürich Kloten, 8. November 1997. Aufregung, Spannung, Neugier, wie wird das wohl sein? Wer fliegt mit? Unsere Georgette meisterte alle schwierigen Situationen souverän, auch als „Newcomer” in der Gruppe fühlte ich mich sofort wohl und aufgenommen.

Djerba...umsteigen. Tozeur – endlich sitzen wir dann in den Jeeps, das Gepäck ist aufgeladen und in der lauen Nacht holpern die Wagen entlang der dunklen Schotts nach Douz. Welch ein Erstaunen in dem kleinen Städtchen am Rande des Nichts der Wüste ein Luxushotel vorzufinden, wo es an Gästen aller Nationalitäten nicht mangelt. Der Fortschritt! Ich hatte doch zuvor gehört, wie das vor 20 Jahren war, als man damals von dort aus die Wüste durchqueren wollte: ein öder Fleck auf der Karte des grossen, schwarzen Kontinents. Georgette organisierte uns dann einen schönen Empfangsabend im Rose des Sables mit orientalischen Köstlichkeiten, wo wir uns bei tunesischem Wein vorsichtig näher aneinandertasteten.

Und dann – endlich – beginnt das wahre Abenteuer: am nächsten Morgen kommen die Treiber mit ihren Kamelen in bekannt zeitloser Manier. Nicht viele Meter vom Hotel entfernt auf einem Karawansereiplatz treffen wir uns.

Auch die Kinder, zuerst die vorwitzigen Jungen, die um Geld und Gaben betteln, dann die Mädchen, scheu und zurückhaltend, wagen sich nur vorsichtig herbei, um Blickkontakt zu knüpfen.

Das schrille Auseinandergleiten der Ebenen “wie in allen Drittweltländern” schiesst es mir durch den Kopf. Wie spannend es doch ist, dann endlich auf „sein” Kamel zu steigen und zu lernen, wie das ist, wenn sich dieses Tier, mehr oder weniger willig erhebt, und nicht kopfüber abzustürzen.

Später dann, – langsam, langsam schaukeln wir ins staubige Nichts. Stille. Schauen. Spüren. Die Seele wird ruhiger, der Atem freier, der Blick kann ins Endlose schweifen und die Weite trinken. So reiten wir dahin, voll Erwartungen, hinaus in die sanften Dünen aus fahlgelbem Sand. Der Horizont dehnt sich weit und weiter ins Unendliche. Die letzten Dattelpalmen winken uns ihren Abschied zu.

Unsere Kameltreiber und ihr Anführer in seiner traditionellen Tracht, schauen, dass alles seine Ordnung hat. Diese “Crew” versorgt uns die nächsten Tage und Nächte mit in Glut gebackenem Fladenbrot und den landesüblichen Speisen, mit Wasser, süssem Tee und mit dem in den kalten Nächten so anheimelnden Feuerplatz. Die Musik, ihre Gesänge und Geschichten nicht zu vergessen! Und wir tanzten!

Die Mischung aus der beschaulichen Reise, dem Umsorgtsein und Lindas Unterricht in medialen Dingen zur Öffnung unserer Sinne war mit Leichtigkeit und Sorgfalt getränkt. Ich glaube, es war für jeden von uns etwas dabei: Neues und Altes, für den einen unbekannt, für den anderen vertraut, jeder konnte teilhaben in dem Masse, das seinem Wollen und Vermögen entsprach. Es wurde mir wieder bewusst, dass die Existenz so viele Wege bereit hat, dass es soviele Pfade gibt, die in ihrem Bestreben um Klarheit und Wahrheit zum gleichen Ziel führen.

Wie schön zu beobachten: Aus welcher Tradition, Lehre, aus uraltem und neuzeitlichem Wissen sich doch immer wieder ein ähnliches Muster der Betrachtung und Erfahrung formiert. Wie erfrischend und liebevoll uns Linda anleitete, ist, glaube ich, jedem bewusst.

Die Nächte, ja, die Nächte mit dem Sternenkreisen, dem Staub des summenden Unbegreiflichen am Firmament. Das Staunen. Das Ausgesetztsein in deinem Schlafsack im kalten, grauen Nachtwüstensand: tröstlich für die einen der monotone Rhythmus von Gesang und Tamburin der am Feuer verbliebenen Araber, störend vielleicht für einen anderen. Wünsche fliegen freier als gewohnt, Träume tanzen in die dunkelblaue Kuppel über uns. Auch Ängste werden manifester als sonst. Und die Natur mit der Pulsation der Erde ist einfach da.

Für Genuss und Spass war gesorgt – erinnert Euch an die grandiosen Sonnenuntergänge, an einen Spaziergang mit dem warmen Sand zwischen den empfindlichen Zehen, oder an Gelächter mit den Freunden ...

Auch zu erfahren, was das Wüstenschiff für ein perfektes Geschöpf für diesen Teil unseres Planeten darstellt. Jedes Tier eine eigene Persönlichkeit: Denkt nur an das Küchenkamel.

Nun, und dann, anstatt einer Vollmondmeditation überraschte uns ein “kleiner” Sandsturm. Wie Nebel treibt der mehlfeine Sand vorüber, löscht das Feuer, wirbelt Dinge durch die Luft, jetzt heisst es, einen sicheren Platz für die Nacht zu finden, entweder alleine oder mit der Hilfe eines Einheimischen. Die wenigen Büsche biegen sich unter der Peitsche des Windes. Der feine Staub dringt in jede Pore, knirscht zwischen den Zähnen, blendet das Augenlicht. Innehalten und ruhig sein, Atmen ist alles. Die Kehle wird trocken und rauh. Mancher Menschen Zelte biegen sich. Die Kamele werden wieder eingefangen und gleiten als beinlose Schemen vorüber. Heiss ist’s. Der Sand bedeckt alles, wirklich alles. Am nächsten Morgen ist der Spuk vorüber.

Selbst in dieser wilden Nacht zeugen viele kleine Spuren vom nächtlichen Besuch der Käfer, Eidechsen und kleiner Mäuse neben deinem Schlafplatz. Vielleicht war auch ein Skorpion dabei. Ernst und Heiterkeit begleiteten uns. Marabus: die Heiligen der Wüste, ihre Wirk- und Ruhestätten. In gleissender Hitze besuchen wir einen dieser geheimnisvollen Orte und meditieren da. Und auch hier – so erstaunlich – Wasser in der Wüste, das kostbare Elixier. Ein primitiver Ziehbrunnen reckt seinen dürren Arm in den wolkenlosen Himmel.

Wusstet Ihr, dass mehr Menschen in der Sahara ertrinken als verdursten? Wenn der Regensturm kommt und die ausgetrockneten Wadis zu reissenden Strömen macht.

Ich sprach noch nicht genug von den Dünen: ihren tintorettorosa Spitzen im Morgenlicht, dem orangenen Taumeln in der Abendsonne, dem violetten Abschiednehmen für die Nacht, ihren schneewächtenartigen Formationen mit den feinen Musterungen des Windes. Vom Platz mit den Sandrosen, vom schwarzen Lavagestein und dornigen Pflanzen, die gleichzeitig blühen, welken und Frucht tragen. Welch ein Festmahl für die Kamele!

Wir konnten Reste archaischer Kulturen entdecken, wie Pfeilspitzen und Feuersteine. Auch findet man gelegentlich versteinerte Strausseneierschalen. Das haben die Begleiter unserem ungeübten Auge nahegebracht.

Verbunden hat uns vieles und ich denke, jeder hat einiges mit nach Hause genommen. Denn jetzt endet die Reise wieder: im Tuareghotel, nach einem Besuch in den Souks von Douz zum Einkaufen.

Am Abend haben wir noch einen Abschied mit liebevoll arrangiertem Essen, ausgelassener Musik und Tanz im Rose des Sables. Die Nacht wird sehr kurz, denn sehr bald hiess es, wieder aufzustehen.

Fliegen… fliegen… reisen… zurück nach Europa… ins kalte Zürich, wo uns ein netter Empfang bereitet wird. Wie gut. So fällt es leichter, zurück in den Alltag zu tauchen. Nachwirken lassen. Spüren. Erzählen.

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