Spiritualität und Zufall
Oberflächlich betrachtet, scheint es wenig Bezug zu geben zwischen Spiritualität und Zufall. Aus meiner Erfahrung zeigt sich aber immer mehr, daß die beiden Begriffe eher die verschiedenen Seiten derselben Medaille sind.
Wie ich in früheren Kolumnen von „Irren ist menschlich“ schon öfter gezeigt habe, ist das Suchen nach verborgenen Mustern eine zutiefst menschliche Eigenschaft, die in der Suche nach Sinn im Leben gipfelt. Nach umfangreichen statistischen Untersuchungen ist das Bedürfnis, den verborgenen Sinn zu suchen oder an ein planvolles Schicksal zu glauben, bei grob 50% der Menschen vertreten. Die anderen sehen eher den Zufall, die Wahrscheinlichkeit oder das Chaos der Welt als wichtige Kraft in ihrem Leben. Die Psychologie hat diese beiden Menschengruppen als „Schafe“ für die „Gläubigen“ und als „Böcke“ für die Skeptiker bezeichnet. Diese sonderbare Benennung wurde aus dem Matthäus-Evangelium abgeleitet: Christus wird am Jüngsten Tag die Gläubigen von den Ungläubigen trennen, „wie ein Schäfer die Schafe von den Böcken trennt“. Bemerkenswert ist, daß egal welcher der beiden Gruppen wir angehören, wir die jeweils Andersdenkenden für etwas „minderbemittelt“ ansehen.
Obwohl ich mich eher zur Gruppe der „Böcke“ zähle, weiß ich, daß man prinzipiell nicht ausschließen kann, daß zufällige Ereignisse nicht doch einer sehr komplexen Regel folgen. Zuviel und zu komplexe Realität sind aber für die meisten Menschen schwer erträglich und deshalb werden vereinfachende Regeln und „Erklärungen“ gesucht und akzeptiert (z. B.: Ein Unglück kommt selten allein.).
Ein wichtiges Beispiel für das Wirken des Zufalls ist die Evolution. Viele Menschen glaubten und glauben an eine klare vom Schöpfer gesteuerte Entwicklung vom einfachsten Leben bis zum heutigen Menschen als Kulminationspunkt, ähnlich einer Pyramide (siehe beigefügtes Bild einer Mayapyramide in Yucatan). Die heutige Wissenschaft zeichnet für die Evolution ein viel verwirrenderes Bild. Nach vielen Ausgrabungen ist der Zufall die „schöpferische“ Kraft und der selektive Überlebensdruck der jeweiligen Umwelt entscheidet dann über Fortpflanzung oder Aussterben.
Vor 65 Millionen Jahren war es völlig klar, daß die dominierende Gattung die Echsen sind und sein würden. Es gab sogar schon Ansätze zu sich entwickelnder Intelligenz (kleine Saurier, die auf 2 Beinen liefen und mit geschickten „Händen“ wahrscheinlich schon einfache Werkzeuge benutzen konnten). Und dann kam ein ca. 10 km großer Meteorit und schlug mit unvorstellbarer Gewalt bei Yucatan in die Erde. Die Konsequenzen führten zum dramatischen Aussterben von 90% aller damaligen Arten (Pflanzen und Tiere). Eine zahlen- und größen-mäßig kleine Art (die Säugetiere, unsere Vorfahren), die die Kontrolle der eigenen Körpertemperatur (zufällig!?) entwickelt hatte, konnte die extremen Klimaschwankungen besser überleben und wurde zur heute dominierenden Spezies.
Natürlich ist auch das eine vereinfachte, aber wissenschaftlich belegte Geschichte. Wir können nicht wissen, wie sich die Welt ohne den Yucatan-Meteoriten entwickelt hätte. Intelligente Saurier oder doch ein Siegeszug der Säuger? Wir können es nicht einmal ahnen!
Dieser „absichtslose“ Zufall ist vielen Menschen zutiefst unangenehm und sie versuchen sich durch ein anderes Extrem vor den Zweifeln des Lebens zu schützen. Einige anerkennen ausschließlich die wörtlich genommene Bibel als Welterklärung und verteufeln schon den Gedanken einer Evolution als pure Gotteslästerung. Diese sogenannten Kreationisten haben an einigen Schulen in den USA sogar die Lehrpläne entsprechend umgestellt (Bibel statt Darwin).
Und hier endet meine Toleranz für Weltanschauungen: Wer für „Sicherheit“ im Leben wertvolle Dinge wie Toleranz, Neugier, freie Meinungsbildung und auch Zweifel opfert, kann nicht mit meiner Unterstützung rechnen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie mich für Fragen und Anregungen unter der Mail-Adresse robert.pleich [at] onlinehome.de kontaktieren.