Benutzeranmeldung

Sie verlassen die TRILOGOS-Website Deutsch. Möchten Sie auf die englische Website wechseln?

Elementi 49: Aus der Schule - Persönlichkeitsbildung: Feeling im F(r)ühling

Frühling ist eine ”Hier und Jetzt” Sache, und ich liebe es!

Alles fangt neu und frisch von vorne an in der Natur – und das ist befreiend. Weg mit dem schweren Winter, alles möchte und muss wieder aufblühen. Auch wir treten in den Frühling oft ein bisschen offener ein. Wir kommen raus aus unseren Eremitenkrebshäusern; von unseren dicken und wolligen Verschalungen.

Mit dem Frühling empfinden wir uns selbst und vielleicht auch andere als ein bisschen mehr befreiter und mehr zugänglicher, und wir sind vielleicht  auch einladender und bieten etwas von uns selbst anderen an. Es ist symbolisch die Jahreszeit wo wir lernen müssen radikal mit Veränderungen umzugehen, denn die alten Muster können uns nicht mehr helfen, wir müssen uns umstellen, - umstellen auf etwas Neues. Es kommt jedes Jahr vor und erinnert uns an den Kreislauf im Leben.

Auch bei unseren Gedanken und Gefühlen ist es so. Manchmal müssen wir uns umstellen. Aber dann müssen wir uns vom alten auch trennen können und loslassen. Der Frühling ist dann jedes Jahr ein geduldiger, aber disziplinierter Lehrmeister für uns – er hat es schon auch sehr oft gemacht und macht es jedes Jahr wieder gut. Wichtig ist dann eine Trennung zwischen Gedanken und Gefühle zu machen. Sehr oft wird auch hier der Winter mit dem Frühling verwechselt, denn Aussagen wie „ich fühle mich blöd/ verrückt/ schuldig/ glücklich“ werden oft als Gefühle bezeichnet, weil wir sagen doch „ich fühle mich...“ Oder? Das sind aber keine Gefühle, sondern Gedanken. Und solche Gedanken können Gefühle, z.B. Scham/Angst/Schuld/Freude, auslösen.

Unsere Gefühle sind Teil von unserem „Sein“. Wenn sie „rausgeschickt“ werden zwischen Menschen verwandeln sie sich und werden auch zum „Tun“. Aber wir sind letztendlich „human beings“ und nicht „human doings“. Unsere Gefühle sind die Brücke zwischen Sein und Tun, und genau das ist ihr Ziel – sie sind Signale worauf wir achten müssen im Hier und Jetzt und sie sind der „Klebstoff“ zwischen unseren Erfahrungen. Aber, sie brauchen die Bewegung vom „Sein“ ins „Tun“ - sie sind „Geh – Fühle“. Wir tasten die Grenzen anderer Menschen an und werden uns dadurch unserer selbst auch bewusster.

Wichtig ist auch zu wissen dass wir nicht auf die Gedanken an sich reagieren und handeln, sondern auf das Gefühl, das die Gedanken auslösen kann. Wenn dem so ist, kann die Reaktion anders sein als das, was wir innerlich wirklich brauchen oder uns wünschen. Wir reagieren dann nicht mehr auf unsere Bedürfnisse oder Wünsche, sondern auf jene Angst-Gedanken die uns mitteilen, dass wir vielleicht nicht bekommen könnten was wir uns wünschen oder brauchen. “Was ist wenn...?” sind Gedanken die sehr häufig vorkommen können.

Eine Frau mit sozialer Angst hat mal zu mir gesagt „Aber Christin, es sind ja nicht meine Gedanken die mir Probleme schaffen, sondern meine Gefühle“. Ich habe sie dann eingeladen mir ein Beispiel zu erzählen, worauf sie sagte „Ich fühle, dass andere Menschen mich anschauen. Was ist wenn ich verrückt werde?“. Ich habe gesagt „Toll! Denn was du jetzt beschreibst ist kein Gefühl, sondern ein Gedanke“. Von diesem Gedanken hat sie gelernt, sodass sie automatisch Angstgefühle kriegte. Diese Angst hat ihr „geholfen“ nicht verrückt zu werden – aber dadurch hat sie auch gelernt, einsam zu sein, weil sie sich zurückzog von anderen Menschen, um sich zu schützen. In ihrem Fall waren die Gefühle keine Geh-Fühle mehr, sondern Geh-Fühl(l)t, und sie war in ihrem Hier und Jetzt "gefüllt" mit dem, was nicht mehr wirklich aktuell war, sondern schon lange in ihrer Vergangenheit stattfand. Sie hat dabei für sich neu entdeckt, dass sie einen grundlegenden tiefen Wunsch hatte, mit anderen Menschen zu sein, - deswegen hatte sie dann auch so viel Angst gehabt, dass sie aus irgendeinem Grund vielleicht nicht so sein dürfte. Sie hat nun gelernt, dass ihre Angst sie von ihren Möglichkeiten beschränkt hatte, und sie wollte sich das jetzt nicht mehr bieten lassen. Sie wollte neue Erfahrungen machen – nicht gefüllt sein – und sie wollte ihre Gefühle endlich in ihren neuen Frühling geh-fühlen lassen.

Solche Gedanken, wie bei dieser Frau, kommen oft wenn wir im innerlichen Winter verbleiben. Sie erzeugen somit eine Angst die leider oft eine Auswirkung hat auf unser Blick in die Zukunft, und diese Angst prägt uns und hemmt uns emotionell im Hier und Jetzt – im Frühling, wo alles prinzipiell neu sein könnte. Weil, wie wäre der Frühling, wenn wir uns die Verschalung vom Winter nicht los lassen trauen? Wenn wir Angst haben, es kommt noch und noch ein Tag, der mühsam wird? Und plötzlich stehen wir da mit unserem Wintermantel bei 17 Grad plus. Recht werden wir haben, aber sind wir dabei glücklicher?

Sollen unsere Gefühle ihre Funktion gut übernehmen können, müssen wir sie rauslassen und „Geh-Fühlen“ lassen. Und genau so, wie der Frühling, sind sie eine Hier-und-Jetzt Sache. Und, im Frühling, wenn uns der Winter verlässt, dann können wir wieder von der Natur lernen und dadurch vielleicht etwas Neues über die Welt und uns selber.

So - raus mit uns; es erwartet uns doch etwas Schönes – etwas Neues. Der Winter ist bestimmt vorbei! So ist die Natur. Viel Freude beim F(r)ühling.

Christin Weiss
Klinische Psychologin / Oslo, Norwegen

 

© TRILOGOS STIFTUNG 2012. Alle Rechte vorbehalten | Letzte Aktualisierung 24.04.2024