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Elementi 07: Club Nachrichten

von Prof. Dr. jur. Jörg Rehberg - Die Ecke des Präsidenten

Die schweizerische Vereinigung EXIT verhilft ihren Mitgliedern bekanntlich unter bestimmten Voraussetzungen zur Selbsttötung, indem sie ihnen ein tödlich wirkendes Gift verschafft und sie im Sterbeprozess begleitet. Bis vor kurzem nahm ich – wie wohl praktisch die gesamte Öffentlichkeit – ohne weiteres an, diese Unterstützung werde nur Menschen zuteil, welche an unheilbaren körperlichen Krankheiten leiden und sich deswegen bei klaren Sinnen entschliessen, aus dem Leben zu scheiden. Dass EXIT in solchen Fällen Hilfe leistet, lässt sich rechtlich und wohl auch menschlich nicht beanstanden. Nun erfuhr man aber, dass sie in diesem Frühjahr einer schwer depressiven, aber körperlich gesunden Frau kurz nach ihrer Entlassung aus einer psychiatrischen Klinik in Basel Gift für ihre Selbsttötung zur Verfügung stellte, die dann nur dank der raschen Intervention des Basler Kantonsarztes verhindert werden konnte. Und wenig danach brachte eine medizinische Dissertation zu Tage, dass es sich dabei durchaus nicht um einen Einzelfall handelte. Vielmehr ergab sich, dass EXIT bereits wiederholt so vorgegangen war und auf diese Weise verschiedenen schwer depressive Patientinnen und Patienten dazu verholfen hatte, teils schon binnen 24 Stunden nach ihrer Entlassung aus der psychiatrischen Klinik aus dem Leben zu scheiden.

Diese Handlungen von EXIT haben mich zuerst einmal als Juristen erschreckt, weil schwer depressive Leute ihre Lebenssituation nicht mehr vernünftig einzuschätzen vermögen und alsdann rechtlich gesehen urteilsunfähig sind. Das bedeutet, dass ihre Selbsttötung nicht mehr als ein aus freien Stücken gewählter «Freitod» gelten kann und sich daher die Helfer selber für den Hinschied der oder des Betroffenen verantwortlich machen. Aber ist es nicht auch rein menschlich betrachtet erschütternd, was hier passiert? Da haben sich Psychiater und Psychiaterinnen, Pflegerinnen und Pfleger intensiv um jemanden bemüht, und kurz danach wird all dies durch EXIT zunichte gemacht, offenbar ohne dass die Helfer selber nochmals eingehend mit dem zur Selbsttötung entschlossenen Menschen über dessen Lebenssituation sprechen, geschweige denn ihm irgendwelche Alternativen aufzeigen würden.

Zweifellos geht es zwar um Menschen, die ihren seelischen Zustand als hoffnungslos, sich als ihren Problemen hilflos ausgeliefert empfinden und nach einer «einfachen Lösung» suchen. Aber es hat wohl nie jemand mit ihnen darüber gesprochen, ob es sich nicht um eine bloss scheinbare Lösung handelt, die ihr höheres Selbst weiterbestehen lässt, aber in seiner Entwicklung zurückversetzt, und die neue Probleme für ein späteres Leben schafft? Doch solche Fragestellungen sind natürlich für die traditionellen Wissenschaften von der menschlichen Psyche unsinnig und daher tabu. Gleiches gilt wohl auch vom Gedanken, dass für das Entstehen einer Depression und psychischer Erkrankung überhaupt auch Momente massgebend sein könnten, die sich einer psychoanalytischen Erforschung des jetzigen Lebens des oder der Betroffenen entziehen.

Glücklicherweise ist eine sog. transpersonale Psychologie in Entwicklung begriffen, welche die Grenzen der hergebrachten naturwissenschaftlichen Betrachtung der Psyche des Menschen durchbricht. Aber auch medial begabte und geschulte Menschen könnten, wie ich glaube, seelisch Kranken oft zu tieferen Einsichten in die Ursache ihres Leidens verhelfen und sie dabei unterstützen, damit umzugehen und ihre Probleme vielleicht sogar zu einer Herausforderung zu machen. Jedenfalls wäre es jedem Mensch, der sich mit dem Gedanken der Selbsttötung trägt, nachdrücklich anzuraten, solche unorthodoxe Hilfe in Anspruch zu nehmen und so möglicherweise zu tieferen Einsichten und Änderungen in seiner Einstellung zu gelangen.

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