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Nicht ohne mein Medium

Erschienen in der Sonntagszeitung, 2008

Die persönliche Hellseherin ist zur Lifestyle-Option geworden

Dunja Bellisario entdeckte ihre medialen Fähigkeiten vor zehn Jahren - nach dem Tod ihrer Mutter.

Mit der Grazie einer Carla Bruni faltet Anna die Hände auf dem Tisch, senkt den Blick und sagt geheimnisvoll: «Wisst ihr, in Liebesfragen hilft mir immer mein Medium.» Vier Augenpaare richten sich auf die 29-jährige Studentin. «Dein Medium? Die sind doch im Kontakt mit dem Jenseits, und deine Probleme sind wohl ziemlich irdischer Natur», sagt eine der Freundinnen in Anspielung auf Annas kompliziertes Liebesleben. «Mein Medium ist meine Lebensberaterin», entgegnet Anna. Seit einem Jahr besucht sie regelmässig eine spirituelle Heilerin. 


Das Thema des Abends ist lanciert. Die nächsten Stunden beschreibt Anna, wie die ominöse Dame aussieht, was sie ihr prophezeit und womit sie arbeitet. Am Ende des Abends wandert die Adresse des Mediums in vier von vier Handtaschen. 

Die persönliche Heilsbringerin hat sich auf der Skala der Errungenschaften des modernen Lebens in den letzten Jahren auf die vorderen Ränge katapultiert. Zusammen mit der Adresse des Personal Trainers, der Party der Woche und der Bezugsquelle des perfekten Mantels in Dunkelgrau. Medien sind die modernen Orakel zwischen Businesslunch und Babywickeln. Sie stellen ihr Talent, die sogenannte Hellfühligkeit in den Dienst ihrer Klienten und übermitteln Botschaften aus dem, was hier «die andere Welt» heisst. 

Problemlösung hat im 21. Jahrhundert Servicecharakter 

Fasziniert von dieser Vorstellung, pilgern Neugierige in abgelegene Häuser am Waldrand oder in stilvoll eingerichtete Praxen in Jugendstilhäusern. Von hier aus operieren die Geister der Goldküste. 

Problemlösung hat im 21. Jahrhundert Servicecharakter - und Spiritualität scheint für viele, die sich mit dem klassischen Angebot der analytischen Psychotherapie nicht identifizieren können, eine Alternative zu sein. Vor allem eines ist bemerkenswert: Man geht nicht mehr unter Mühen den unbewussten Verstrickungen des Ich nach, und das jahrelang. Sondern versucht, sich einfach in Gleichklang mit dem zu bringen, was das Universum ohnehin für einen vorsieht. Das Medium fungiert hier als Kontakt zu einer höheren Kraft. 

Es gilt: Ich verbinde mich mit dem Universum, also bin ich. Nicht umsonst hielt sich «The Secret» von Rhonda Byrnes wochenlang auf allen Bestsellerlisten. Das Buch aus den Vereinigten Staaten wurde als Bedienungsanleitung für ein erfüllteres Leben gelesen - im Fluss mit Karmaund Kosmos. Das Geheimnis, so das Buch, sei so einfach wie kompliziert: Wir selbst sind Schöpfer unserer Realität. Die Dinge, die uns im Alltag begegnen, haben wir durch die eigene Gedankenenergie angezogen. Auf der Psychiaterliege würde man solche Sätze nie hören. 

Mein Haus, mein Schiff, mein Medium? 

Die meisten Medien, die ihre Dienste als Lebensberater anbieten, wollen sich aber klar von der Esoterik abgrenzen. Für sie ist das schrille Eso-Cabaret à la Mike Shiva mit seiner Wahrsager-TV Show eher eine Antivision. 

«Bei mir erhält niemand Tempo-Ratschläge», sagt denn auch Linda Vera Roethlisberger, Buchautorin («Der sinnliche Draht zur geistigen Welt»). «Ichfördere mit meiner Arbeit die Bereitschaft, an sich selber zu arbeiten», sagt die Gründerin der Trilogos PsyQ-Methode. Es ist eine Kombination von Denken (IQ), Fühlen (EQ) und Glauben (SQ). Vor mehr als 18 Jahren in der parapsychologischen Welt begonnen, hat sich Roethlisberger mit ihrer Arbeit einen seriösen Ruf bei Ärzten und Psychotherapeuten erarbeitet. Sie ist mit ihrer Praxis und ihrer Schule im oberen Seefeld der Stadt Zürich gut vernetzt und berät Menschen unterschiedlicher Herkunft. 

Die Klienten buchen bei der 52-Jährigen entweder «aktive» oder «passive» Sitzungen; eine Stunde kostet 150 Franken. Man stellt der ehemaligen Kanti-Lehrerin konkrete Fragen zu ungeklärten Problemen oder lässt sich auf eine Auralesung ein. Auch durch die Verstorbenen, die Roethlisberger mit erstaunlicher Präzision beschreiben kann, erhalten die Fragenden Ratschläge zu Beziehung, Gesundheit oder zum Arbeitsumfeld. «Gerade bei jüngeren Menschen erlebe ich eine grosse Offenheit gegenüber spirituellen Wahrheiten», sagt Linda Vera Roethlisberger. 

Im Unterschied zum Shrink ist der spirituelle, universelle Ratgeber für eine neue Generation das kleinere Tabu. Da ist der Arzt aus Zürich - anfangs skeptisch - der Kontakt zu seiner verstorbenen Freundin aufnehmen konnte, die ihn seither «als Lichtgestalt bis in den Operationssaal» begleitet. 

Er betont aber, dass er seinen Kollegen im Spital nichts davon erzählen möchte. «Gerade in der Schulwissenschaft sind Vorurteile gegenüber solchen Phänomenen immer noch gross», sagt er. 

Klienten holen auch Rat in Kleiderfragen 

Die kennt auch Dunja Bellisario, die seit Jahren als Medium arbeitet. Für Bellisario ist ihre mediale Fähigkeit, die sie vor zehn Jahren nach dem Tod ihrer Mutter entdeckte, ein «Geschenk und Privileg». Wunder könne sie allerdings keine vollbringen, obgleich: «Die meisten haben hohe Erwartungen an uns.» Und andere wollen Rat, den sie gar nicht geben will. Wenn eine Klientin fragt, «ob sie das grüne oder das rote Kleid an ein Date anziehen soll», dann gibt Dunja Bellisario eine Gegenfrage zurück: «In welchem fühlen Sie sich wohler?»

Bill Coller glaubt, dass wir «an einem Wendepunkt» angelangt sind. Der «Spiritualist» ist in England seit dreissig Jahren ein bekanntes Medium. Bill tritt dort oft im Fernsehen auf und macht sogenannte Demonstrationen mit dem Publikum, Jenseitskontakte vor laufender Kamera. 

Regelmässig besucht er die Schweiz, um seine «Fans» zu treffen. Eine Einzelsitzung kostet 130 Franken. «Es existieren so viele Wahrheiten», sagt Bill Coller, «und wir machen nur unseren Job, wenn wir die verschiedenen Welten näher zueinander bringen.» Das Gespräch während der Sitzung zeichnet Bill auf Kassette auf und wirkt in seiner Haltung so gar nicht astral erleuchtet, sondern mehr wie der gutgelaunte Bäcker um die Ecke. 

Im nächsten Jahr erscheint über Coller ein Kinofilm. Ein Schweizer Filmteam hat ihn während zweier Jahre begleitet. Der Film heisst «The World According to Bill». Danach werden ihn die Leute auf der Strasse erkennen. 

Bis dahin aber ist er noch ein ganz normaler Mensch. Das zumindest behauptet er.

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