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Elementi 02: Portrait

Mit vollen Segeln durchs Leben, beschaulich am Abend / Paul O. Rutz

Portrait von Paul O. Rutz, Feldmeilen zum Thema Medialität und Geschäftswelt

Unser Schiff scheint seeaufwärts zu fahren. Die an Ueberraschungen reiche aber heitere Atmosphäre eines herbstlichen Föhntages. Paul O. Rutz strahlt eine selbstverständliche Heiterkeit aus. Doch wir sind gar nicht auf dem Schiff. Das Haus steht unmittelbar am See, der Wind jagt nordwärts, das Wasser mit ihm, nur der Betrachter in der Tiefe des Wohnraums lässt sich täuschen.

Bild und Metapher des zielstrebigen erfolgreichen Schiffs passen gut zum Leben des in Zollikon aufgewachsenen P. O. Rutz. Er wohnt am See, betreibt internationalen Handel, insbesondere auch Importe in die Schweiz, besitzt eine Yacht im Mittelmeer, wo er mit seiner Frau die Ferien verbringt. Sein Vater betrieb einen internationalen Getreide- und Futtermittel-Importhandel, er selbst bereitete sich nach der Handelsschule während mehrerer Auslandjahre in Genf, Antwerpen, Paris und New York auf diese Tätigkeit vor. Zurück in der Schweiz zog es ihn sogleich an den See, wo er in Feldmeilen seine Bleibe fand, ein reizvolles Haus. Hier wohnte er während 21 Jahren mit seiner ersten Frau und den vier Kindern, derweil sich jedoch Dach und Boden von Jahr zu Jahr um je zwei weitere Millimeter dem See zuneigten.

Seine beruflichen Aktivitäten hat Rutz mit den Jahren allmählich verschoben: vom Getreide- und Futtermittelhandel in den Familienbetrieb seiner damaligen Frau, in die Waschmaschinenfabrik Schulthess in Wolfhausen. Seinem Faible für die Industrie kam diese Aufgabe sehr gelegen. Dieser Aufgabe wandte er sich denn auch vermehrt zu nach dem Tode seines Vaters, denn nun war es ihm möglich, seine nunmehr eigene Firma entsprechend umzuorganisieren. Schliesslich überliess er sie 1990 seinem Sohn, getreu dem Versprechen, das er seiner ersten Frau abgegeben hatte, er, der die Stürme zwischen Vater und Sohn im gleichen Geschäft nur allzu gut kannte. Nur ab und zu schaut er noch dort hinein, wird auch vom Sohn zuweilen zu Rate gezogen. Gut gehen die Dinge im Getreide- und Futtermittelhandel momentan nicht, bei einem Rückgang von einst 220 schweizerischen Mühlen auf nunmehr 120 und den gegenwärtigen Problemen im Futtermittelhandel, speziell den allseits bekannten beim Fleischmehl.

Bei soviel beruflichem Engagement – noch wurde die Funktion eines Observers in der Schweizer-Delegation im internationalen Weizenrat gar nicht erwähnt – hatten Hobbies wenig Platz. Die früh geübte manuelle Geschicklichkeit blieb liegen. Rückwirkend sieht Rutz nun, dass er überhaupt viele vorhandene Fähigkeiten nicht pflegte. Zum Beispiel die Intuition. Das hat sich zuweilen ganz praktisch gerächt, bei der Personalauswahl nämlich. An sich zu arbeiten hielt er – nach eigener Definition – nicht für nötig und hat es daher auch nicht getan. Oder vielleicht doch in einem früheren Leben? Doch solche Fragen tauchen erst heute auf. Bis auf wenige Ereignisse verlief alles glatt, alles oder doch fast alles glückte ihm. Faires Geschäften war ihm wichtig, andere hinters Licht zu führen, wie es eine Generation vorher gang und gäbe gewesen war, das war seine Sache nicht, sowohl aus ethischen Gründen wie auch weil er sich keine Schwierigkeiten einbrocken wollte. Daraus erwuchs seiner Firma ein europaweit sehr guter Ruf. Nüchterne Sachlichkeit dominierte, wenngleich unter weicherer Hand als zuvor unter seinem patriarchalischen Vater. Und wenn sein Sohn heute fast mehr in Grossvaters als in Vaters Fussstapfen geht, so nimmt er dies gelassen in der Erkenntnis, dass jede Generation alles neu erlernen und ihre Schürfungen einholen muss.

Nach dem Grund bestimmter Gefühle hatte Rutz sehr lange nicht gefragt, hatte optimistisch vorwärtsgezogen, auch akzeptiert, wenn einmal etwas schief lief. Dabei auch die innere Stimme nicht gehört, wenn er etwas sollte. Dass man mit einem freundlichen Umgang mehr erreicht, hatte er allerdings nicht mühevoll lernen müssen sondern einfach in Amerika zum ersten Mal gesehen und dann im Beruf auch angewandt. Dass seine Partner in der Maschinenfabrik Schulthess ähnlich gelagert sind, kommt dem Führungsstil zugute. Die Harmonie laufe durch den ganzen Betrieb, von oben bis unten, erfahre ich, und sie sei nicht nur pekuniär begründet sondern gehöre in das heute nur allzuoft vernachlässigte Kapitel der Geschäftsethik. Um einen solchen Kurs einzuhalten, reicht eben eine noch so gute Fachausbildung allein nicht. Es erfordert Menschenkenntnis. Und den Mut, sich auch dem Unangenehmen zu stellen. Ihm ist dies nach eigener Aussage im Wesentlichen gut gelungen. Doch er hat dabei sehr unbewusst gelebt, hat kaum grosse Probleme gekannt.

1983 trat eine Wende ein im Kurs des Lebensschiffs von Paul O. Rutz. Seine Frau starb. Bald danach verliess er die Seestrasse für einige Zeit, das schiefe Haus für immer.

Dann nach einigen Jahren zog es ihn hierher zurück. Mit seiner zweiten Frau, mit der er in den vergangenen elf Jahren die bisher schönste Zeit seines Lebens verbrachte, baute er an der gleichen Stelle ein neues Haus, ähnlich dem alten, wie es die Denkmalpflege wollte, aber grösser und solider. Dieses strassenseits herrschaftlich- behäbige, jedoch auf der Seeseite weitgehend verglaste, lichte Gebäude stützt sich mit zahlreichen Pfählen auf den Felsengrund ab. Die Gesprächspartnerin meint darin Wesenszüge des Besitzers zu erkennen.

Die innere Wende brachte dann ein Familienfest. Da war die Tischpartnerin Linda Roethlisberger, die seiner im medizinischen Bereich tätigen Frau auffiel. Kurse folgten, zu denen er seine Frau zuweilen begleitete, das TRILOGOS-FORUM. Nun begann er die Möglichkeiten zu sehen, die ihm in die Wiege gelegt worden waren und die er 60 Jahre lang nicht bewusst wahrgenommen hatte: Etwa seit seinem 50. Altersjahr hatte er bei der plötzlichen Erinnerung an einen Verstorbenen den Drang verspürt, hinter sich zu schauen, aus der inneren Überzeugung, dass der Betreffende im Raum anwesend sei. Doch erst durch Linda wurde er sich dessen bewusst. Immer war er überzeugt gewesen, dass das Leben nicht im christlichen Sinne aufhört sondern irgendwoher kommt und wieder auftaucht. Solche Gedanken hatten sich in ihm früh gebildet, im Widerstand gegen die Ablehnung der Seelenwanderung durch den erzkonservativen reformierten Alt-Pfarrer von Klosters, in dessen Haus er während eines einjährigen Schulaufenthaltes wohnte. Mit der toleranten Art des katholischen Pfarrers hätte er sich dort viel besser zurechtgefunden. Einen Teil des damals ungeliebten Konfirmandenunterrichts wiederholte er übrigens Jahrzehnte später als Begleiter seines ältesten Sohnes. Nein, zum Medium möchte sich Rutz nicht ausbilden lassen, aber er arbeitet nun zum ersten Mal in seinem Leben bewusst an sich.

Und wieder blicken wir aus dem sparsam möblierten Raum mit den zahlreichen alten Puppenherden auf den See hinaus. Die Landschaft beeinflusst P.O Rutz meditativ – wie könnte sie auch anders. Und die Tiere – seine Tiere, so hat er gesagt. Es sind Schwäne und Taucherli, seine und seiner Frau Schwäne und Taucherli. Wilde Vögel, die sie fast einzeln kennen, die zu ihnen kommen mit Erwartungen und Vertrauen.

Reinkarnation – nein, da ist er nicht so gwundrig. Und er fährt so fort, dass ich sehe: die Sache interessiert ihn doch. Etwa die Begegnung mit seiner jetzigen Frau in einem früheren Leben, im alten Griechenland, als sie nach seiner Überzeugung auch schon heilte. Und die Perspektive in jene Welt ist offen, weit, offener als der physische Horizont jenseits des Zürichsees, ebenso offen wie der für die Zuhörerin imaginäre Horizont hinter der Yacht an der türkischen Küste.

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