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Elementi 21: TRILOGOS Forum - Ich lebe

Reihe von T. Töndury / Wirtschaftsethik - Gedanken aus der Praxis

4. Teil: Der ökologische Zweck der Wirtschaft

Der Mensch ist sowohl Teil der Natur und zugleich befähigt, in die Natur einzugreifen. Durch die Wirtschaft, das heisst: durch die Produktion von Gütern greift er aktiv in das Naturgegebene ein. Zerstört er dabei die Natur, so zerstört er seine eigene Lebensgrundlage.

Die Wirtschaft erfüllt ihren ökologischen Zweck, wenn durch die Nutzung der Natur einerseits die Lebenschancen auf diesem Planeten erhöht werden, andererseits die Natur als Lebensgrundlage nicht zerstört wird.

Die Bedeutung der "Ökologie" ist schwierig zu erfassen. Sie betrifft ein dem Menschen übergeordnetes System, über das wir wenig wissen. Es entzieht sich objektiven Kriterien, weil es in der Ökologie keine Objektivität gibt: Das Subjekt "Mensch" und das Objekt "Natur" sind miteinander eins, der Mensch ist Teil der Natur und die Natur ist Teil des Menschen.

Trotzdem – zur Untersuchung von Zusammenhängen zerlegen wir die Natur in ihre Bestandteile und diese zerlegen wir weiter in immer kleinere Teile. Teilen vermittelt ein Gefühl zunehmender Überblickbarkeit, Beherrschbarkeit und damit der Beruhigung, dass wir aus der Erforschung der kleinsten Teile schliesslich das ganze Phänomen "Natur" verstehen und angehen können: Wir wähnen uns in einem Gefühl der technischen Machbarkeit, dass die Technik die Umweltprobleme, die wir Menschen durch unser Verständnis von "Wirtschaft" geschaffen haben, lösen könne.

Die Natur aber ist nicht einfach die Summe ihrer Bestandteile sondern sie ist die Summe der Zusammenhänge dieser Bestandteile untereinander, ein unendlich grosser, verquickter Zusammenhang! Jeder punktuelle Eingriff hat vielfältigste, nicht voraussehbare Folgen. Diese sich gegenseitig fördernden oder hemmenden Einflüsse balancieren das ökologische Gleichgewicht aus, entwickeln eine Pufferwirkung, dank der – trotz immenser ökologischer Sünden – unsere Welt noch einigermassen "in Ordnung" ist.

Erst allmählich beginnt bei uns das ökologische Bewusstsein zu erwachen und wird auch gleich wieder eingeschläfert, sobald unser Wohlstand in Frage gestellt ist. Wo und in welcher Gesellschaft das ökologische Bewusstsein erwacht, stellt es eine weit fortgeschrittene Ausbeutung der Natur und unermessliche Schäden fest. Die Wirtschaft hat in bedenkenlosem Wachstum ihren ökologischen Zweck aus den Augen verloren. Das Wachstum unseres materiellen Wohlstandes und der existentielle Kampf um Wasser und Nahrung gehen einher mit der systematische Zerstörung der Lebensgrundlage für Menschen, Fauna und Flora. Wir schaufeln quasi unser eigenes Grab – gibt es etwas Sinnloseres?

(Der Löwe ist gemäss menschlicher Beobachtung ein faules Tier, er erlegt nur so viele Beutetiere, wie er zum Leben benötigt. Seine Faulheit ist die Chance seiner Beutetiere, ihre Bestände zu regenerieren, damit ist auch die Lebensgrundlage des Löwen gesichert. Hätte der Löwe Tüchtigkeit und Gier des Menschen, würde er seine Beutetiere ausrotten und wäre – mangels Nahrung – vom Aussterben bedroht.)

Der Mensch kann sich von der Natur nicht isolieren, er ist Teil von ihr, auf Gedeih und Verderb mit ihr verbunden. Er ist nicht nur ein Puzzlestein in seiner engeren und weiteren Mitwelt (Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft, Arbeitsgemeinschaft, Gemeinde, Staat; Wohnung, Haus, Garten, Natur), er ist zudem "durchlässig" für alle Einflüsse. Sie machen nicht Halt an seiner Haut, sie dringen in ihn und durch ihn; denken wir nur an die Nahrungsaufnahme, an Licht, Farben, Wärme, Schall, Gerüche und Gefühle, die ihm entgegengebracht werden.

Den Folgen seines Wirkens kann sich der Mensch nicht entziehen. Es liegt deshalb in seinem höchst eigenen Interesse, Erfindungsgeist, Arbeitskraft und seine einmalige Tüchtigkeit, die viel mehr hervorbringt, als er für seine Existenz braucht, zur Erhaltung der Natur einzusetzen. Das Arbeitsfeld bezeichnen wir als "Wirtschaft", das beherrschende Instrument der Wirtschaft ist die "Technik". Die Wirtschaft erfüllt ihren ökologischen Zweck, wenn sie die Technik zur Wahrung der naturgegebenen Mitwelt einsetzt.

Der fundamentale, der humane und der soziale Zweck der Wirtschaft sind auf den Menschen bezogen. Der ökologische Zweck aber bezieht sich auf ein übergeordnetes System, von dem die Menschheit nur ein kleines Teilsystem ist. Aus dieser gesamtheitlichen Sicht muss der Erfüllung des ökologischen Zweckes der Wirtschaft die Priorität vor den anderen Zweckerfüllungen zugestanden werden. Aber wie können die Menschen zur Natur Sorge tragen in Regionen, in denen der naturgegebene Boden zuwenig Nahrung hergibt, in Regionen, in denen Hass und Gebietsansprüche einen zerstörerischen Krieg führen, in Regionen, in denen Wachstum und Gewinn zuoberst auf der Prioritätenliste stehen? Zudem: Sind wir überhaupt noch in der Lage, auf die "Wirtschaft" einen positiven, bremsenden Einfluss auszuüben? Oder hat die "Wirtschaft" eine Eigendynamik erlangt, die Mensch und Natur beherrscht und sich nicht mehr beeinflussen lässt?

Das Wirtschaftswachstum

Wachstum gilt in unserer Zeit als der Erfolgsausweis einer Unternehmung, der Wirtschaft und damit auch der Politik eines Landes. Wachstum ist der Motivator für Expansion (neue Standorte) und Diversifikation (neue Produkte). Das Streben nach Wachstum hat zum Verdrängungswettbewerb (der Stärkere verdrängt den Schwächeren), zu Fusionen und Übernahmen (gemeinsam stärker als allein), zur Eroberung neuer Märkte (multinationale Tätigkeit mindert das nationale Stagnationsrisiko), zur Schaffung neuer Bedürfnisse geführt. Monokulturen (grosse Mengen des gleichen Produktes senken die Produktionskosten und stärken die Stellung im Markt) und Protektionismus an der Landesgrenze sind ebenfalls Folgen des Wachstumsstrebens. Diese Beispiele zeigen, dass Wachstum viel mit Egoismus und Macht zu tun hat, der allfällige Beitrag zur Lebensdienlichkeit der Wirtschaft ist dabei nur ein (willkommener) Nebeneffekt.

Wachstum an sich kann unter ethischem Gesichtspunkt keine Zielsetzung, kein Zweck der Wirtschaft sein.

Wachstum ist aber notwendig zur Erfüllung anderer Zwecke: Eine wachsende Bevölkerung benötigt zur Ernährung ein Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion. Sie benötigt auch ein Wachstum der Zahl der Arbeitsplätze, deshalb hat z.B. die Senkung der Leitzinsen zur Aktivierung der Investitionstätigkeit eine soziale Motivation.

Alles was lebt, auch eine Unternehmung, durchläuft einen kürzeren oder längeren Lebenszyklus: Geburt/Gründung - körperliches Wachstum/Expansion im Markt - innere Reifung/qualitatives Wachstum - Tod/Verkauf, Fusion, Liquidation. Der Tod steht im Lebenszyklus an der gleichen Stelle wie die Geburt, d.h. das Verschwinden einer Unternehmung schafft Platz für Neues, sogar der Zusammenbruch eines ganzen Wirtschaftssystems öffnet Möglichkeiten für ein der Zeit besser angepasstes System.

Nicht äusseres Wachstum allein sondern auch Entwicklung und Veränderung sind Ausdruck von Leben. Sie sind Inhalt des qualitativen Wachstums, das länger dauern kann als das quantitative Wachstum. Die Expansionsphase, das quantitative Wachstum einer Unternehmung belastet die Umwelt. Das qualitative, innere Wachstum aber führt zur Schonung von Ressourcen, zur Verminderung der Umweltbelastung, d.h. in Richtung Erfüllung des ökologischen Wirtschaftszwecks, durch Pflege und Weiterbildung der MitarbeiterInnen auch in Richtung Erfüllung des humanen und durch den Ausbau der sozialen Sicherheit auch des sozialen Wirtschaftszwecks.

Leider ist qualitatives Wachstum nur in ungenügender Weise durch Zahlen zu erfassen und findet in den Wirtschaftslehren, in der Berichterstattung und deshalb auch bei den Managements weniger Beachtung. Sicher auch aus diesem Grund hat weder die sog. freie Marktwirtschaft noch die sog. Planwirtschaft zum inneren, qualitativen Wachstum gefunden. Ansätze dazu sind vorhanden, doch müssen technische Verbesserungen zugunsten der Ökologie einen Beitrag zum expansiven Wachstum und/oder zum Wachstum der Rendite leisten, sonst werde sie als "wirtschaftlich untragbar" wieder verlassen. Soziale Verbesserungen sind in der Regel kostenintensiv und problematisch, bergen sie doch die Gefahr in sich, dass die Produktion in Länder mit tieferem sozialen Standart abgedrängt, also das Gegenteil von sozialer Sicherheit bewirkt wird.

Äusseres Wachstum ist nicht unbegrenzt, die Wirtschaft braucht eine Konsolidierung im Sinne des qualitativen Wachstums. Die zentralistisch geführte Planwirtschaft der ehemaligen UdSSR versuchte rücksichtslos zu expandieren, bis sie an sich selber erstickte und total kollabierte: Das zu monströser Grösse aufgeblasene Gebilde "Wirtschaft" war schliesslich von der Zentrale aus nicht mehr steuern. Weil das totalitäre Regime nur Wachstumserfolge vorzeigen wollte, gab es für qualitatives, inneres Wachstum keine Chance: geopfert wurden die Ökologie und die soziale Idee, und der ökonomische Untergang riss deshalb auch die Ideologie mit sich. So ist nichts mehr vorhanden, auf dem neues Wachstum entstehen könnte, ein völliger, zeitaufwändiger Neuanfang ist nötig.

Statt sich ihres Überlebens zu brüsten, sollte die sog. freie Marktwirtschaft aus diesem Beispiel die Lehren ziehen und sich intensiv dem inneren Wachstum, der Erfüllung ihres fundamentalen, humanen, sozialen und ökologischen Zweckes zuwenden. Stattdessen hält der Trend zur Megaunternehmung, zur Expansion ohne Grenzen an, auch unter sozialen und ökologischen Opfern, auch im Wettlauf mit der Zeit.

Die Wirtschaft braucht einen krisenfesten Unterbau, der die Versorgung entsprechend dem fundamentalen Zweck der Wirtschaft sicherstellt. Dazu eignet sich die Bildung oder Erhaltung kleiner autarker Einheiten: Regionale Gewährleistung der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Wohnung in einem Umkreis, der keine Transportprobleme bietet, auch wenn infolge Streik, Energieknappheit, Krieg die weltweite Logistik nicht mehr funktioniert, auch wenn infolge Geldentwertung das Notwendige auf dem internationalen Markt nicht mehr gekauft werden kann. Die Landwirtschaft muss in der Lage sein, die Bevölkerung jederzeit mit den lebensnotwenigen Nahrungsmitteln zu versorgen, zudem ist eine (minimale) Textilindustrie erforderlich, die entsprechenden Zulieferanten der Landwirtschaft und der Textilindustrie müssen auch in der Region angesiedelt sein. Diese Forderung schafft Arbeitsplätze.

Ein Problem sind die Rohstoffe und die Energie, insbesondere das Erdöl und seine Derivate, die wir heute in solchem Übermass einsetzen, als ob es sich um das Gras unserer Wiesen handle, das nach jedem Schnitt neu wächst und zeitlich und mengenmässig unbeschränkt zur Verfügung steht. Gewinnung und Verwendung der in der eigenen Region vorhandenen regenerierbaren Ressourcen inklusive Sonne, Wind und Erdwärme gehören ganz besonders zum qualitativen Wirtschaftswachstum.

Durch die Teilung der sich weltweit ausdehnenden Wirtschaftskolosse und Wirtschaftsräume in autarke Einheiten kann per saldo regionales Wachstum entstehen. Dies geschieht allerdings zulasten derjenigen Regionen, in denen heute die von uns käuflich erworbenen Produkte hergestellt werden. Im weltweiten Kontext sind deshalb die Bestrebungen zur Regionalisierung mit der Beachtung der Verteilungsgerechtigkeit zu verbinden, damit in allen Regionen der Welt die minimal notwendige Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Wohnung sichergestellt ist.

Das Rezept der Regionalisierung (nicht Nationalisierung!) ist uralt, einfach und einleuchtend. Der Grund, weshalb die Wirtschaft den umgekehrten Weg geht, liegt beim Geld, beim Stellewert, den wir dem Geld einräumen.

Mit dem Geld befasst sich die 5. und letzte Folge meiner Gedanken zur Wirtschaftsethik. Wer sich dafür interessiert, kann diesen letzten Teil oder alle Folgen zusammen bei mir anfordern.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

Tönet Töndury
Schlössliweg 14, CH-8702 Zollikon
e-mail: toendury [at] gmx.net

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