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Elementi 05: Portraits aus der Welt der Musik

Erika Wirth - Plötzlich jedoch war ein Loch in der Mauer...

Ein Porträt über Erika Wirth, Akkordeonistin aus Winterthur

Erika Wirth unterrichtet in Winterthur das Spielen des Akkordeons und des landestypischen Schwyzerörgelis. Sie hat Schüler aller Altersklassen. Sie konzertiert bisweilen nicht nur allein und mit Berufskollegen, sondern auch mit ihren Schülern im öffentlichen Rahmen. Eine Frau, die zunächst bezweifelte, ihr Erleben in Worte fassen zu können, zeigte sodann im Gespräch ihr lebendiges und schillerndes Seelenleben in einer sprachlichen Prägnanz, die ich sicherlich nur dürftig wiedergeben kann. Die Frage nach Medialität in ihrer Arbeit war für Erika Wirth etwas Neues. Im Erzählen floss sie voll von intensiver Lebendigkeit und bewusster Feinfühligkeit über, getragen von einer liebevollen, respektvollen und fördernden Aufmerksamkeit für die Menschen, deren musikalische Entwicklung ihr anvertraut ist, sodass die heilende Arbeit an der Seele des Schülers in jedem Satz ihrer Erzählungen spürbar wird.

Musik ist für Erika Wirth ein nie endendes Bild. Die Musik – das innere Erleben, Bilderleben – befindet sich im immerwährenden Wandel. Sie nennt als Beispiel die Moldau von Smetana, in deren musikalischen Strom sich Geschehnisse wandelnd visualisieren. Dem Tänzer folgt die Hochzeit, Wassertropfen werden hörbar, fühlbar und sichtbar, das Fliessen der Moldau, ein immerwährender Wandel. Auch bei ihrem eigenen Musizieren hört die Wandlung nie auf. Aktiv musizieren empfindet Erika Wirth als beglückende Versenkung, aus der sie gestärkt wiederauftaucht. Ihren Schülern möchte sie nahebringen, dass Musik erst zur solchen wird, wenn sie von innen kommt, wenn ich sie in mir empfinden kann und dies im Musizieren zeige. Nach Noten musizieren ist der erste Schritt des Erlernens, bleibt aber auch nur “das Reproduzieren von Druckerschwärze”, es ist noch keine Musik.

“Ich scherze, ich liebe, ich lache, bin traurig”, so beschreibt sie ihr Musizieren.

Ihre Weise zu Beschreiben stärkt meinen Eindruck, dass mir von einer persönlichen inneren Welt, ebenso real und vielseitig wie die äussere, berichtet wird. Ich teile meinen Eindruck mit, er wird mir bestätigt. Im Musizieren strahlt die innere Welt der Erika Wirth hör- und fühlbar nach Aussen. Die tatsächliche Vielseitigkeit dieser Realität glaubt sie jedoch kaum vermitteln zu können.

Als junges Mädchen habe sie das Problem gehabt, dies ihren Mitmenschen zu zeigen; diese Welt mit ihrer gefühlvollen Innerlichkeit war ihre Privatsache. Dachte sie. Plötzlich jedoch war ein Loch in der Mauer und Inneres kehrte sich im Musizieren nach Aussen. Sie fühlte sich dabei zunächst vor ihren Mitmenschen entblösst. Sich zeigen zu können, war ein langer Prozess des Lernens, einer Entwicklung der Psyche. Es war die stetige Reifung vom ich zum wir, hin zum Bewusstsein “es gehört nicht nur mir allein”. Ihren Schülern ist sie heute Helferin, die innere Welt zu fühlen und nach Aussen über das Spielen zu kommunizieren.

Die Einstellung zu den Mitmenschen und insbesondere zu den ihr Anvertrauten schafft die Bedingung für den gemeinsamen Weg. Der lernende Mensch kann, vom Lehrer so angenommen wie er ist, in dieser respektvollen Annahme durch “die gut Pflege” ohne Zwang und mit gegenseitigem Vertrauen zur Entfaltung geführt werden. Als Unterrichtende möchte sie daher nicht im Vordergrund stehen – dieser Platz gebührt dem Schüler.

Dies menschlich zu leisten ist ihre Herausforderung und in der Erfüllung dieser Aufgabe vertraut sie, dass Leistung von selbst kommt. Erika Wirth grenzt sich hier ab gegenüber dominanten Kräften unserer modernen Welt, wo nur nach Technik und nach Leistungsnachweisen beurteilt wird.

Der Lehrende muss zunächst lernen, in Worte zu fassen. Er muss auch seine Fähigkeit entwickeln, zuzuhören, seinen Schützling fühlend zu erkennen, um die Mitteilung des Schülers zu verstehen. Diese Verständigung geschieht für Erika Wirth sicher auch über Worte, aber vielfach ist es mehr ein gemeinsames Erfühlen, unterstützend begleitet von Worten. Natürlich, sagt sie, tauchen auch Probleme auf, entstehen Spannung und Konflikt und diese sind abends Begleiter auf dem Heimweg. Hat man zueinander Vertrauen gefasst, so ergeben sich Veränderungen. Was man aus seinem Füllhorn verschenkt, schlägt nach ihrer Überzeugung Wellen, bringt Veränderung, lässt den Schüler erstrahlen und dies wirkt sich auf sein Leben und seine Umwelt aus.

Am schönsten und als phantastisch empfindet sie dies, wenn der andere “von der Natur benachteiligt ist” und sich plötzlich in seinen Möglichkeiten entfaltet. Ich spüre in ihrer Arbeit einen stark heilenden Charakter, vielleicht auch Bindung an ein höheres Ganzes. Diesen Eindruck teile ich ihr mit und frage, woher ihre Fähigkeit zu einem solchen Arbeiten gründet. Sie weiss es nicht. Sie macht alles sehr gern, vielleicht kommt es daher, entgegnet sie. Das eigene Musizieren ist eine immerwährende erneuernde Kraftquelle. Sie taucht unter und taucht beglückt auf. Vielleicht hat es mit der eigenen Reifung durch schwierige Ereignisse und deren positive Bewältigung durch neue Erkenntnisse zu tun. “Warum musste ich dies erleben, da muss doch etwas dahinter sein.” Auch im Konflikt mit dem Schüler sucht sie, gemäss ihrer persönlichen Natur, auch bei sich: Welches Verhalten, welche Entwicklung in mir kann dem Schüler helfen? Es ist eine stete Herausforderung sich selbst gegenüber, damit man das weitertragen kann, was sich herauskristallisiert. Erika Wirth sieht sich als ganz “normale” Musikerin und Lehrende, fragt sich auch nicht gross, woher etwas kommt, “es ist einfach da”. Für einen Menschen mit medialen Fähigkeiten hält sie sich nicht. Eine heilende Qualität in ihrer Arbeit zu sehen, diesen Eindruck hatte ich sehr deutlich, obwohl es für Frau Wirth neue Aspekte waren. Linda Roethlisberger beschreibt in ihrem Lehrbuch “Der sinnliche Draht zur geistigen Welt” wie immens wichtig die positive Grundhaltung und der Wunsch zum Helfen für den Erfolg ist. Bei Erika Wirth sind dieser Wunsch zum Helfen und diese Liebe zum Schüler spürbar.

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