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  • Elementi 19: TRILOGOS Forum - Irren ist menschlich

    Reihe von Robert Pleich / Die Macht der Geschichten

    Das beigefügte Bild (Fiktion a la Escher; bitte vergrößern) soll das in dieser Kolumne behandelte Grundproblem abbilden: Die „Realität“ ist immer auch vom Kontext bzw. Blickwinkel abhängig.

    In der vorherigen „Irren ist menschlich“ – Kolumne (siehe Archiv Sommer 2003) zitierte ich Francis Bacon aus seinem Novum Organon (1620): „Die Argumentation kann nicht genügen für die Entdeckung neuer Tatsachen, da die Feinheit der Natur um ein Vielfaches größer ist als die Feinheit des Arguments.“

    Ich kann diesem Satz nur zustimmen, und dennoch gibt es etwas, das die Feinheit der Natur scheinbar übertrifft: Die Macht der Geschichten. Denn die Evolution hat uns nicht nur mit Sensoren wie Augen und Ohren ausgestattet, sondern auch mit einem Geist, der sich aus dem Gesehenen und Gehörten kleine Modelle und Geschichten zurechtzimmert.

    Wir sind wahre Meister im Erkennen von Mustern (siehe Archiv Herbst 2002) – wesentlich besser als jeder noch so schnelle Computer. Allerdings sehen wir auch dort Muster, wo gar keine sind, z.B. in Lottozahlen, im Mond“gesicht“, in beliebigen Wolkenformationen etc.. Man nimmt an, daß diese schnelle Mustererkennung für unsere Art den wesentlichen Überlebensvorteil gesichert hat.

    Eine wichtige Konsequenz ist das Gefühl der Sicherheit, die sich aus „erkannten“ Mustern bzw. Geschichten ableiten läßt. Wenn man in einer beängstigend komplexen Welt lebt und sieht, daß die Fähigkeiten, wesentliche Dinge zu beeinflussen (wie Wetter, Krankheit und Tod; früher Hunger und Raubtiere) sehr beschränkt sind, dann ist die Idee z.B. eines Wetter- oder Jagdgottes sehr plausibel. Alle Erfolge und Mißerfolge lassen sich dann als Muster auf die Launen dieses Gottes zurückführen. Und plötzlich gibt es auch eine Kontrollmöglichkeit: Man selbst oder eine Expertengruppe (Priester oder Gurus) führen bestimmte Rituale durch, die die Laune des Gottes günstig beeinflussen sollen. Falls etwas schief geht, dann hat man eben nicht genug geopfert oder gebetet – keinesfalls wird die Idee des zuständigen Gottes bezweifelt.

    Man mag darüber lächeln und sich für „aufgeklärt“ halten, aber die Macht der Geschichten formte über die Jahrtausende unsere Entscheidungen und machte uns letztendlich zu dem, was wir heute sind. Die Gier nach Geschichten formt heute die gesamte Medienlandschaft. Die Beschreibung eines Poltergeistes oder eines UFOs erreicht wesentlich mehr Menschen als eine wissenschaftliche Erklärung.

    Aber auch die Wissenschaft selbst wird von „geschichtsgierigen“ Menschen gemacht: Spekulative Geschichten über irgendwelche Quantenphänomene à la Star Trek oder eine geheimnisvolle „Dunkle Materie“ (unsichtbar und unmeßbar!) im Weltall findet viele Interessenten. Untersuchungen von Wetterphänomenen und dem Ozongehalt der Atmosphäre wird beson-ders dann in den Medien breiter Raum gegeben, wenn sich eine (Horror-) Geschichte damit verbinden läßt.

    Durch diese Suche (oder Sucht?) nach Geschichten steht der aufklärende Kampf der Wissenschaften gegen den Aberglauben zumindest in den Medien weltweit nicht gut. Kann man Geschichten nur mit anderen Geschichten wirksam bekämpfen?

    Die Geschichten, die zu Hexenverbrennungen geführt haben sind heutzutage bei weitem nicht mehr so populär wie die Geschichten von weltweiten Menschenrechten. Das gibt mir Hoffnung. Und an diese Geschichte von der vernünftiger werdenden Menschheit möchte ich glauben.

    Ich würde mich freuen, wenn Sie mich für Fragen und Anregungen unter der Mail-Adresse robert.pleich [at] onlinehome.de kontaktieren.

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