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Elementi 18: TRILOGOS Forum - Ich lebe

Wirtschaftsethik - Gedanken aus der Praxis 1. Teil

1. Teil: Wirtschaftsethik versus Gesellschaftsethik

 

Ist es notwendig, für die Wirtschaft ethisches Verhalten speziell zu definieren oder genügen die für unsere Gesellschaft als Gesamtes gültigen ethischen Verhaltensgrundsätze?

Jeder in der Wirtschaft Tätige (wir sind als Produzenten eines Produktes oder einer Leistung und als Konsumenten alle an der Wirtschaft beteiligt) nimmt für sich in Anspruch, in seiner Tätigkeit "ethische" Gesichtspunkte zu beachten. Je nach seinem Charakter und besonders je nach Art des Druckes, dem er ausgesetzt ist, erhält die Ethik in seinem Wirtschaftsverhalten aber einen unterschiedlichen Stellenwert gegenüber anderen Zielsetzungen. Zudem ist unsere Gesellschaft gegenüber dem, was noch als "ethisches" Verhalten anerkannt wird, sehr tolerant. "Ethik" wird zum Beispiel Sachzwängen unterordnet, die der Gesetzgeber in der Vergangenheit durch Vorschriften geschaffen hat, oder es werden Lücken infolge (noch) fehlender Vorschriften ausgenützt und damit die "ethische" Verantwortung indirekt der Regierung, dem Gesetzgeber, dem Volk delegiert aus der Idee, dass auch aus Sicht der "Ethik" erlaubt sei, was nicht ausdrücklich verboten ist.

Der Ermessenspielraum, den unsere Gesellschaft den Entscheidungsverantwortlichen in der Wirtschaft bezüglich "Ethik" einräumt, ist sehr gross, und er wirkt sich kaum einschränkend aus bei der Verfolgung rein kommerzieller Ziele.

Als Beispiel dafür seien Waffenlieferungen in andere Länder angeführt: In der Schweiz befindet die Regierung darüber, welches Land "Krieg führend" und entsprechend mit einem Belieferungsverbot zu belegen ist. Bis dieser Entscheid vorliegt (es kann viel Zeit verstreichen), sind Waffenlieferungen staatlich konzessioniert, auch wenn sie ethisch verwerflich sind.

Während die Gesellschaft von der Wirtschaft in erster Linie Arbeit und angemessenen Wohlstand fordert, sieht die Wirtschaftslehre im finanziellen Gewinn die wichtigste Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaft. Beide Forderungen sind einleuchtend und berechtigt. Trotzdem oder gerade deswegen scheinen sie oft unvereinbar, gegensätzlich zu sein: Der Hinweis auf den Abbau von Arbeitsplätzen zugunsten der Rendite oder auf die Produktionsverlegung in Regionen ohne einengende und damit verteuernde Umweltvorschriften möge diese Widersprüchlichkeit illustrieren.

Die Polarisierung "Wirtschaftsethik versus Ethik" in der Bevölkerung nimmt zu:

Da sind auf der einen Seite die Verfechter und Nutzniesser des monetären Erfolges als erste, wichtigste Zielsetzung der Wirtschaft, auf der andern Seite die "Aufpasser im Auftrag der Ethik". Wirtschaftlich tüchtige und zugleich ihrer ethischen Verantwortung bewusste Akteure befinden sich irgendwo zwischen den beiden Polen, handeln durch Kompromisse und sind dadurch beiden Seiten verdächtig: Wiegen die rein wirtschaftlichen Gesichtspunkte in ihrem Handeln vor, werden sie von den "Aufpassern im Auftrag der Ethik" öffentlich kritisiert. Überwiegt die Neigung zu ethisch verantwortbarem Verhalten, so gelten sie als schwache, die Wirtschaft gefährdende Manager. Die gesamtheitliche und damit korrekte Leistungsbeurteilung eines Managements setzt deshalb die Kenntnis der ethischen Zwecke, nicht bloss der monetären Bedürfnisse unserer Wirtschaft voraus.

Zwei weitere Gesichtspunkte erfordern eine Präzisierung ethischen Verhaltens für die Tätigkeit in der Wirtschaft:

Die Wirtschaft hat über unsere Gesellschaft weitgehende Dominanz errungen. Sie hat eine Eigendynamik entwickelt, deren Kontrolle uns entglitten ist. In vielen Bereichen (Sozialpartnerschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Umweltschutz) bestimmt die Wirtschaft über die Bedürfnisse von Natur und Mensch. Voraussetzung für die Wahrnehmung dieser erdrückenden Verantwortung wäre eine gesamtheitliche, die ethischen Gesichtspunkte einschliessende Zielsetzung.

Die Wirtschaft basiert weniger auf unantastbaren Grundsätzen wie etwa die Religionen oder teilweise auch die Naturwissenschaften, sie verfolgt vielmehr festgeschriebene Ziele (Wachstum, Gewinnoptimierung). Zur Erreichung dieser Ziele bedient sie sich in pragmatischer Weise wechselnder Methoden, die oft erst nachträglich begründet werden. Der Zweck beziehungsweise das Ziel heiligt bekanntlich Mittel und Methoden, mit denen er/es erreicht wird: Auch aus diesem Grund bedürfen die ethischen Ziele der Wirtschaft einer besonderen Hervorhebung, damit sie als mindestens ebenbürtig den andern Zielsetzungen zur Seite gestellt werden können.

Wenn in diesem Bericht aus ethischer Sicht zwischen dem

  • fundamentalen Wirtschaftszweck,
  • humanen Wirtschaftszweck,
  • sozialen Wirtschaftszweck und
  • ökologischen Wirtschaftszweck

unterschieden wird und die vier Zwecke getrennt voneinander betrachtet werden, so dürfen wir nie aus den Augen verlieren, dass keiner dieser Zwecke isoliert für sich erfüllt werden kann. Jeder Zweck hat fördernde oder hemmende Rückwirkungen auf die drei andern und diese wiederum unter einander. Es handelt sich um ein Netzwerk, das seinerseits Teil eines grösseren Netzwerkes ist, also von einer Vielfalt externer Faktoren beeinflusst wird und diese seinerseits beeinflusst.

Der fundamentale Zweck der Wirtschaft

"Wirtschaft" in ihrer ursprünglichen Bedeutung ist die spezifische Weise, wie der Mensch seine beiden Grundbedürfnisse "Leben" und "Entwicklung" in materieller Weise befriedigt. Dieser fundamentale Zweck der Wirtschaft ist deshalb ein dem Menschen dienender Zweck: Bereitstellung gesunder Nahrung, Fertigung zweckmässiger, dem Klima angepasster Kleidung, Bau und Unterhalt von Wohnraum zum Schutz vor Wetter und Gefahren, Betrieb von Schulen zur Aneignung eines Grundwissens, das die Behauptung im Leben und die Persönlichkeitsentwicklung sicherstellt.

Die Definition dessen, was den "Grundbedürfnissen" zuzurechnen ist, hat sich im Verlaufe der Zeit regional unterschiedlich stark gewandelt:

Konsumgüter, Mode, Wohnkomfort, Television, Auto, Reisen, Schule, Ausbildung und soziale Sicherheit sind bei uns (darunter verstehe ich alle mit der Schweiz vergleichbaren Länder) zum fundamentalen Bedürfnis jedes einzelnen geworden und werden deshalb dem fundamentalen Zweck unserer Wirtschaft zugerechnet. Materielle Existenzsicherung und soziale Sicherheit allein sind längst keine Wirtschaftsmotivatoren mehr, Selbstverwirklichung ist unser Ziel, und diese Selbstverwirklichung projizieren wir auf dauerhafte Güter und Verbrauchsgüter, mit denen wir uns umgeben, ohne dass wir tatsächlich auf sie angewiesen wären. Das Phantom der Erfüllung unserer Wünsche regt die Wirtschaft zu Fantasien an, die mit dem Gebrauchszweck des Produktes kaum mehr in einem Zusammenhang steht. Die Hierarchie der Arbeit hat zudem dazu geführt, dass wir Handarbeit an Maschinen und Menschen aus Entwicklungsländern delegieren und uns auf die Überwachung, die Organisation und das Inkasso beschränken. Dazu und zu unserer finanziellen Absicherung haben wir einen ganzen Wirtschaftssektor, den Dienstleistungssektor entwickelt, der direkt nichts zur materiellen Existenzsicherung beiträgt, kein unverzichtbares Produkt herstellt, aber durch eine grosse Zahl von Arbeitsplätzen indirekt eine existenzielle Bedeutung bekommen hat.

Wasser, Getreide, einfachste Kleidung und ein Dach über dem Kopf – dies sind unverändert die fundamentalen Bedürfnisse in grossen Teilen der Dritten Welt. Schule gehört bereits zu den Luxusgütern, die einer privilegierten Minderheit vorbehalten sind. Aber auch diese fundamentalsten Bedürfnisse vermag die Wirtschaft in diesen Ländern oft nicht zu erfüllen. Menschen hungern, sind schutzlos den Launen des Klimas ausgeliefert und werden infolge körperlicher aber auch bildungsmässiger Schwäche Opfer von Krankheit, Korruption und Gewalt.

Seit Urzeiten versteht es der Mensch durch Technik (Pflug, Maschinen, Elektronik) und Spezialisierung (Landwirtschaft, Handwerk, Dienstleistung) mehr und anderes zu produzieren, als er für sich selber braucht. Im Tausch kann er sich deshalb Produkte erwerbe, die er selber nicht anbaut oder anfertigt. Dieser Umstand weckt Bedürfnisse und diese regen ihrerseits die Wirtschaft zu neuen Ideen und zu Mengensteigerungen an. So konnte der immer schneller wachsende Unterschied der Bedürfnisse in den verschiedenen Regionen dieser Welt entstehen, denn Leistungswille und physische Arbeitskraft variieren mit dem Klima und mit dem Grundcharakter der Völker.

Solange der eine von den Lebensumständen und den entsprechenden Bedürfnissen des andern nichts wusste, waren diese Unterschiede ohne Bedeutung. Jeder verglich sich mit dem Mitmenschen seines unmittelbaren Umfeldes, seiner Region, seiner Stellung in der Gesellschaft und richtete auch die Befriedigung seiner Bedürfnisse danach aus. Durch Tourismus, öffentliche Medien und durch das Aufbrechen der Gesellschaftsstrukturen sind aber die Unterschiede der Bedürfnisse und der Möglichkeiten ihrer Befriedigung publik geworden: Spannungen sind die Folge, wenn sich die Nicht-Habenden die Ansprüche der Habenden aneignen!

Die "Reichen" anerkennen durchaus die fundamentalen Bedürfnisse der "Armen". Sie sammeln und verschenken aus ihren Überbeständen im Ausmass ihres eigenen Ermessens. Sie geben Kredite für die Realisierung von Projekten, über deren Notwendigkeit sie selber entscheiden. Sie beruhigen damit ihren Seelenfrieden und entwürdigen – trotz ehrbarer Absicht – die Gaben- und Kreditempfänger zu rechtlosen Bettlern. Bei Katastrophen, auf eng beschränkte Zeit mag diese Form der Hilfe angezeigt sein, sie ist Ausdruck der Solidarität in einer ausserordentlichen Situation. Als langfristige Entwicklungshilfe ist sie aus ethischer Sicht aber abzulehnen.

Will die Wirtschaft global ihre Verantwortung wahrnehmen, so hat sie dafür zu sorgen, dass die existentiellen Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Schule) in allen Regionen der Welt und in allen Gesellschaftsschichten befriedigt werden können, bevor sie sich der Befriedigung von Zusatzbedürfnissen einer privilegierten Minderheit zuwendet.

Dies bedeutet für uns lang dauernde Aufbauzusammenarbeit zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, ohne dass wir daraus finanziellen, machtpolitischen, konfessionellen Gewinn ziehen. Der langfristige Gewinn aus solch selbstloser, die Eigenheiten der andern respektierenden Aufbauzusammenarbeit ist für die gesamte Menschheit weit bedeutungsvoller: Abbau oder Vermeidung von Brotneid und damit von Spannungen, die sich auf alle, besonders auch auf die reiche Minderheit schliesslich nur in ungünstiger Weise auswirken.

Ein finanzieller Beitrag zur Erfüllung des fundamentalen Wirtschaftszweckes in armen Ländern besteht im Verzicht auf die Ausübung der Nachfragemacht. Diese Forderung widerspricht der Marktregelung durch Angebot und Nachfrage, birgt also die Gefahr von Überangebot und Qualitätseinbusse bei Produkten mit fixierten Preisen und Abnahmegarantien in sich. Trotzdem nehmen alle produzierenden Länder das Recht auf Protektion eigener Produkte für sich in Anspruch – ein Marktnachteil zugunsten des sozialen Friedens im eigenen Lande! Warum soll nicht auch die internationale Solidarität dieses Mittel benützen? "Gerechte Preise" (Max Havelaar, OS3): "gerecht" bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass die andern Preise "ungerecht" im landläufigen Sinne wären, die Preise sollen vielmehr den existentiellen Lebensbedürfnissen im produzierenden Land "gerecht" werden, das heisst existenzsichernd sein. Unsere Wirtschaftsmacht kann dafür eingesetzt werden, dass der Mehrerlös nicht in die falschen, meist schon gut gefüllten Taschen fliesst, sondern dass er der arbeitenden Bevölkerung, die den Mangel leidet, zugute kommt.

Weltweite Erfüllung des fundamentalen Wirtschaftszweckes (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Schule) bedeutet auch, aber nicht nur Verzicht auf einen Teil unserer erworbenen Vorteile: Sie bedeutet in erster Linie, dem friedlichen Zusammenleben weltweit Sorge tragen.

Fortsetzung folgt.

Tönet Töndury
Schlössliweg 14, CH-8702 Zollikon
e-mail: toendury [at] gmx.net

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