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Elementi 20: TRILOGOS Forum - Ich lebe

Reihe von T. Töndury / Wirtschaftsethik - Gedanken aus der Praxis

3. Teil: Ein Exkurs in eigene Erfahrungen

ARBEIT – zugleich Tugend und Fluch unseres Menschenbildes.

Montagmorgen und keine Arbeit! Ein schwieriges Gefühl, ein Gemisch von Leere, Perspektivlosigkeit, Nutzlosigkeit, auch Geldlosigkeit. Zugleich ein Gefühl der Abwehr gegen die Möglichkeit von Arbeit. Diese Abwehr kommt von früher, als die Arbeitswoche mit dem Montagskater anfing, mit der Bedrängnis durch die Arbeit. Das Müssen verbunden mit dem Wissen von der Überflüssigkeit der Arbeit, der Arbeitslosigkeit in der Arbeit, der Leere: Beschäftigung gegen Lohn, sogar nur Anwesenheit gegen Lohn, und dem sagt man Stress. Es ist tatsächlich Stress, nur ein anderer. Jetzt Selbstbeschäftigung ohne Lohn.

Wenn nur diejenigen Menschen am Morgen in ein Büro oder an eine andere Arbeitsstelle fahren würden, die tatsächlich einen Nutzen für den Arbeitenden selber, für einen andern Menschen oder für die Allgemeinheit hätte, eine unverzichtbare Arbeit also, man würde das Problem des Stossverkehrs nicht kennen, und in den leeren Büroflächen könnte man die mannigfaltigsten Fantasien verwirklichen. Von einer Wohnung in eine andere wechseln (Büroarbeiten sind wahrscheinlich die überflüssigsten Arbeiten von allen) und dort an einen anderen Tisch sitzen, die Zeitung lesen, die zuhause am Frühstückstisch den genau gleichen Inhalt hat, und dann Papiere sortieren, den PC mit Zeichen speisen und mit der gewichtigen Miene des Unentbehrlichen und mit dem hastigen Tempo des Überbeschäftigten durch Gänge, Treppenhäuser und aufs WC eilen: nur sich nicht eingestehen, dass man ebenso gut auf die oberste Treppenstufe sitzen und mit den anderen Unentbehrlichen und Überbeschäftigten gemeinsam nichts tun könnte – Leerlauf, als Arbeit anerkannt und bezahlt.

Wir Weltmeister in der Beschaffung und Erfindung von Quasi-Arbeit!

Der Landwirt – er bebaut den Boden und pflegt sein Vieh, damit die Menschen zu essen haben. Das ist sinnvoll, nützlich, das verdient einen Lohn. Schon früh morgens um halb sieben stehen die Bauern vor der Molkerei, um die Milch abzuliefern. Schon zu dieser frühen Stunde haben sie ihren unverzichtbaren Beitrag an das Gemeinwohl geleistet, ein Stück sinnvoller Arbeit getan. Man möchte sich zu ihnen stellen und unbeschwert mit ihnen schwatzen – aber dazu fehlt der Mut.

Diese Quasi-Arbeit ist eine Beschwernis: "Viel zu tun heute?" "Ja, völlig im Stress." Und es stimmt sogar, denn diese Quasi-Arbeit kann man mengenmässig beliebig aufblähen und zeitlich beliebig zusammendrängen, weil sie keinen Inhalt hat, der selber den Rhythmus und die Menge bestimmt, wie die Natur Menge und Zeit der Arbeit des Bauern bestimmt. Natürlich kann/muss auch der Bauer die Zwischenräume füllen mit Buchhaltung und anderen Schriftlichkeiten, nach denen kein Kunde fragt, die aber das Amt verlangt, und die aus dem Bauern einen Agronomen machen, der vor lauter Statistiken, Abrechnungen, Aufstellungen, Subventionsgesuchen total unter Stress gerät und die Kuh nicht mehr melken kann. Die tägliche Begegnung mit dem Bauern weckt ein Gefühl der Dankbarkeit, der Bewunderung, auch des Neids.

Arbeitslos heisst ohne Erwerbstätigkeit. Die Arbeitenden sagen: "Du hast es schön", wenn sie den Arbeitslosen bei der Gartenarbeit, bei einer künstlerischen Tätigkeit, beim meditativen, beobachtenden Wandern antreffen. Statt diese Feststellung dankbar zu bestätigen, sticht sie schmerzhaft ins Selbstwertgefühl. Der Arbeitslose möchte sich verstecken, sich vor Beobachtung schützen, denn er fühlt sich minderwertig, nicht gesellschaftsfähig. "Arbeit" als Freude, als Ausdruck des Lebensgefühls, der Verbundenheit mit der Erde oder mit dem Himmel – sie zählt nicht. Anerkannte Arbeit ist etwas Ernstes, Verpflichtendes, Kräfte-verschleissendes. Sie macht müde, stresst, von ihr muss man sich erholen. Dank ihr freut man sich auf Wochenende, Ferien und Pensionierung. Vor ihr flieht man in Krankheit und Unfall, sogar in den Tod: "Sein Leben war Arbeit", "Mitten aus seiner aufopfernden Arbeit herausgerissen". Familie, Freunde, das Selbst bleiben ausgegrenzt: "Dank gebührt der Gattin, sie hat es möglich gemacht, dass er sich ganz seiner Arbeit widmen konnte". Alles muss hinter der Arbeit anstehen. Zuerst die Pflicht, dann das Vergnügen.

Für den Geschäftsmann ist sogar das Essen mit dem Geschäftspartner, fünfgängig mit Wein, Schnaps und Zigarre oder hastig vom Selbstbedienungsbuffet, Arbeit, die bezahlt ist, von der man sich ausruhen muss, die stresst und krank macht. Business-Lunch nennt man das, Essen und Geschäften gleichzeitig. Tu was du tust! – deshalb muss Essen Arbeit sein, damit wir beim Essen arbeiten können. Anerkannte Arbeit kann nicht Vergnügen, Entspannung sein, dies würde unserem Image von Fleiss und Pflichtbewusstsein widersprechen.

Ohne Arbeit in den Tag – fast nicht zum Aushalten! Wenigstens die Fahrt ins Büro, und wenn es dieses nicht mehr gibt, die Fahrt auf den Parkplatz, und wenn es diesen oder das Auto nicht mehr gibt, die Fahrt ins Stadtzentrum, ins Einkaufszentrum, irgendwohin, wo man den Arbeitslosen nicht kennt. Er wird nirgends lange verweilen, weil die Leute sich sonst wundern könnten, ob er wohl nicht zur Arbeit müsse? Eine Flucht vor sich selber, eine Demontage der Selbstachtung, eine Missachtung des eigenen Grundrechts, dass jeder seine Würde behält, ob er nun eine Arbeit hat oder eben keine.

Da fragt einer den Arbeitslosen, ob er auch frühpensioniert sei? "Nein", ist die Antwort, "Ich bin auf dem Weg." Das stimmt. Dass er keinen Arbeitsplatz hat und deshalb auf dem Weg ins Café ist, verschweigt er. Damit hat er den andern, der auch ohne Arbeit ist, verletzt, gedemütigt, denn der hat gehofft, einem Gleichsituierten gegenüber zu stehen. Beide gehen rasch ihres Wegs, eine verpasste Begegnung, eine Vergegnung.

Frei von Pflichtarbeit, frei für die Erfüllung der persönlichen Bedürfnisse: ein Privileg, das der Arbeitslose nicht nutzt. Er spürt die persönlichen Bedürfnisse gar nicht, wenn er keine Arbeit hat. Als er Arbeit hatte, kamen ihm tausend Sachen in den Sinn, aber damals hatte er keine Zeit für sie. Jetzt vertrödelt er die Zeit mit schlechtem Gefühl. Doch gerade das wäre ja die Qualität der Nicht-Arbeit, dass die Zeit keine Rolle spielt. Er kann seine Aufmerksamkeit allen Ausdrucksformen der göttlichen Schöpfung zuwenden und durch die Bewunderung seiner Dankbarkeit für das Leben Ausdruck geben. Hie und da mag es gelingen, wenn er sich unbeobachtet fühlt und seine Situation vergisst. Es gelingt besser in einem Ferienort als zuhause, weil er im Ferienort nichts von sich erwartet, dort macht man Ferien.

Keine (Erwerbs)Arbeit, die den Arbeitslosen von der zentralen Aufgabe seines Lebens, seinen Einsichten und seiner Entwicklung abhält: Er sollte lernen, für diese Gelegenheit von ganzem Herzen dankbar zu sein.

Fortsetzung folgt.

Tönet Töndury
Schlössliweg 14, CH-8702 Zollikon
e-mail: toendury [at] gmx.net

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