Benutzeranmeldung

Sie verlassen die TRILOGOS-Website Deutsch. Möchten Sie auf die englische Website wechseln?

Kolumne - November 2020

Individuation

Innere Welten – äußere Welten: eins mit dem Universum

Der Werdegang eines Individuums soll heute unsere Reflexion sein.

So kommt bei mir sofort die Frage auf:  sind wir per Geburt ein Individuum oder werden wir zum Individuum im Laufe des Lebens?

Lassen Sie uns zunächst einmal bei dem was ein Individuum ist, beginnen. Hierunter verstehen wir uns in der Regel alle als einzelne, inkarnierte Menschen, ein jeder klar abgegrenzt in seinem soSein, als Einzelwesen und für sich stehend.

Die Wortdefinition (lat.: individuum Unteilbares/Einzelding) bestätigt einen Jeden als: „Einzelding“, wobei aus meiner Sicht auffällt, dass die Definition sich auf etwas „Unbeseeltes“ bezieht, also nicht Einzelwesen, nein Einzelding!? Wir schauen uns das im Verlaufe dieses Textes näher an, was das zu bedeuten haben könnte. 

Was macht aber nun die sog. Individuation eines Menschen aus und was genau ist das? Wahrscheinlich kann man diese Frage nicht mehr so ohne Weiteres beantworten, wenn man sich nicht im Wirrwarr der Meinungen dazu verlieren will, da es auch in diesem Zusammenhang so viele Interpretationen darüber gibt, wie es Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler gibt.

An dieser Stelle lassen Sie uns von daher klassisch erneut und zuerst einen Blick auch auf diese Wortherkunft werfen, die wir folgendermaßen vorfinden: Lat. individuare unteilbar/untrennbar machen.

Offenbar haben bereits die alten Weltenforscher erkannt, dass es um etwas Umfassenderes geht als „bloß“ in diese Welt als physischer Körper hinein zu inkarnieren. Es lässt sich hieraus vielmehr ableiten, dass es sich bei unserer Individuation nicht um ein „für ein und allemal erreichtes Ziel“ handelt, das quasi mit der Inkarnation oder gar erst mit der Geburt, erreicht und abgeschlossen ist, sondern um einen Verlauf, einen Prozess, bei dem es evtl. gar kein Ziel oder Ende gibt ...

Bei diesem Prozess werden wir also offenkundig zwar zunächst alle als einzelner Mensch geboren, gehen aber völlig unterschiedliche Wege durch unsere Leben, erwachsen dadurch im Laufe unseres Lebens durch den „Zugewinn“ oder die Entwicklung weiterer Komponenten (Erfahrungen, Erkenntnissen, der eigenen Glauben- und Glaubenssätzen usw.), zu zunehmend eindeutigeren unverwechselbareren Einzelwesen.

Und danach, was geschieht denn mit unserem fix und fertig entwickelten Einzelwesen auf dem Sterbebett, wenn der Körper verstirbt? Ist das Einzelwesen dann unwiederbringlich vorbei und verloren als Solches?

Nach vielen alten und neueren (Glaubens-)Lehren und auch meiner persönlichen Überzeugung nach, ist jedoch auch das körperliche Ende nichts Abschließendes und Finales, sondern es geht nach dem Tode in der Entwicklung weiter: Seele und Geist münden wieder in ein Meer des All-Einsseins hinein. Denn in den feinstofflichen Dimensionen lassen sich wohl zunächst für uns vermeintlich keine klaren Abgrenzungen mehr einhalten, wie wir das als physische Körper hier auf Erden vermeintlich erleben. Das können wir bereits bei den gasförmigen chemischen irdischen Elementen beobachten, wie sie „ineinander wabern“ und das gilt dann sicherlich umso mehr für unsere Seele, unseren Geist, die nach dem Tode unseres physischen Körpers weiterbestehen, um sich allenfalls entwicklungsmässig weiter zu reinem Geist zu erlösen -soweit die besagten Glaubensrichtungen.

Wenn wir weiterhin davon ausgehen, dass wir mit der Zeugung und der Geburt nicht aus einem NICHTS heraus gekommen sind, sondern wiederum aus einem feinstofflichen Zustand, dann wäre es doch nicht allzu fern, darüber zu sinnieren, ob vielleicht auch VOR unserem Erdenleben bereits ein „Leben“ im All-Einssein gewesen sein könnte aus dem heraus wir dann als Individuum inkarnieren.

Ganz spontan kommt mir bei diesen Ausführungen das Bild einer Spirale in den Sinn. Denn eine Spirale verläuft zwar in einer Art Kreisbewegung, jedoch verlässt sie die ursprüngliche Ebene, sie schraubt sich nach oben oder nach unten, je nach Sichtweise.
Schauen wir uns einmal in der Natur um, dann erkennen wir diese UR-Form überall: das Muster eines Schildkrötenpanzers, das Schneckenhaus, die Seepferdchen und die Wuchsbewegung einer jeden Pflanze, kreisend der Sonne entgegen (ich empfehle dazu kleine youtube-Filmchen die dies mit einer entsprechenden Bildgeschwindigkeit im Zeitraffer schön zeigen).

Diese grundlegende Form der Entwicklung muss also ein Archetyp des DASEINS, des Lebens an und für sich sein, welches wir in Art und Weise und in Anlehnung an die Wirksamkeit von Ur-Prinzipien dann eben auch auf dem Gang durch unser Erdenleben durchleben -und weit darüber hinaus.

Und so möchte ich mit Ihnen zusätzlich und zur weiteren Bestätigung des Hergeleiteten jetzt auch noch in die Anleihe gehen bei den Anthroposophen, die hierbei eine relativ klare und strukturierte Beschreibung dessen was unser Individuationsweg ist und wie er verläuft, vorlegen.

Nach Rudolph Steiners Lehre entwickelt sich der Mensch in 7-Jahres-Rhythmen. Er geht dabei von 7 Leibern (oder Körpern) aus, die dann aproxximativ jeweils zu diesen 7-jährigen Daten vollständig ausgereift und entwickelt sind. Dieser fortschreitende Prozess einer „Menschwerdung“= Individuation, gelangt aus deren Sicht schließlich an einen Punkt, an dem der Mensch in der irdischen Inkarnation vollständig angekommen ist, mit all seinen „Leibern“ (grob- und feinstofflich) und lebt als „fertiges“ Individuum noch mehr oder weniger viele Jahre, bis zu seinem Ableben.

Innerhalb dieser 7-jährigen Entwicklungsphasen lassen sich in etwa genau zu diesen Daten (körperliche) Veränderungen, sehr deutlich bei den Kindern und Jugendlichen, ablesen. So ist ein Kind mit 7 Jahren äußerlich erkennbar durch den Zahnwechsel, dann vollständig in seinem physischen Körper „angekommen“. Der 14-jährige Teenager hat seine Geschlechtsreife ausgebildet und der 21-jährige Mensch lässt nun jedoch nur noch weniger klare körperliche Ausprägungen erkennen, allerdings deutlichere innerliche Reife. Denn laut Steiner finden von dort an im 7-jährigen Rhythmus die Reifung der weiteren, eher seelisch-geistigen Körper/Leiber (=feinstofflich) statt.

Auch an dieser anthroposophischen Einteilung lässt sich erkennen, dass es bei der Individuation um weit mehr geht als um die bloße körperliche Inkarnation in diese physische Welt.

Die Ebene Körper, genauso wie auch Seele und Geist, spielen eine gleichermaßen selbstverständliche Rolle, nur können wir sie nicht mehr so ohne Weiteres mit unseren weltlichen Messmethoden darstellen und nachweisen.

An dieser Stelle spätestens wird mir noch deutlicher bewusst, dass die oben zitierte Begriffsdefinition eines „Einzeldings“ wahrscheinlich aus diesem Umstand herrührt, wie er sich beispielhaft am anthroposophisch betrachteten Individuationsweg erklärt. So dass wir demgemäß wohl zunächst (nur) von einem inkarnierten „Einzelding“ sprechen können bei der physischen Geburt, da wir an diesem Punkt noch „unvollständig“ sind. Und dass wir durch die Entwicklung der beiden weiteren menschlichen Anteile Seele und Geist entsprechend der Entwicklung der verschiedenen (feinstofflichen) Körper im Verlaufe unseres Lebens erst zu einem beseelten Wesen WERDEN. Dieses können und dürfen wir dann „Einzelwesen“ nennen.

Doch da gibt es noch mehr zu entdecken, wie ich meine:

Wie wir nun bereits bei der Berücksichtigung der beiden Wortstämme feststellen konnten, haben wir es wohl bei unserem Erdendasein -als dort bezeichnetes „Einzelding“- mit einem Zustand zu tun, bei dem sich das Individuum-sein, zunächst einmal als „sehr einsam“ darstellt.

Separiert von der Mutter begeben wir uns nach der Geburt als menschliches Individuum auf unseren Lebensweg, der bei den Vergleichen mit den Lebenswegen anderer Menschen zeigt, dass jeder Weg vollkommen unterschiedlich ist. Von daher ist das Menschenleben, der Individuationsweg, aus einem natürlichen Blickwinkel heraus betrachtet: individuell, also nicht uniformiert gleichgeschaltet.

Allerdings, auch wenn unsere Wege individuell und ganz verschieden sind, entwickeln wir uns wie es ausschaut in einer Art vollautomatischem Ablauf weiter, der in Form und Art (Körperfunktionen, Alterungsverlauf, udgl.) vorgegeben zu sein scheint, denn wenn wir nichts aktiv DAGEGEN unternehmen  -indem wir unseren Wachstumsprozess gezielt stören- dann kommen wir trotz unterschiedlicher Wege alle zu bestimmten Zeiten an ähnlichen Entwicklungspunkten an (s. die Darlegungen der 7-Jahresrhythmen der Anthroposophen). Und obwohl wir nicht den Zeitpunkt unseres körperlichen Ablebens kennen, so ist dies doch eine Gewissheit, DASS es so sein wird. Eine Inkarnation IN dieses Leben bedingt zwangsläufig auch die Exkarnation AUS diesem Leben.

Bei der Rückwärtsbetrachtung des oben dargelegten, komme ich schließlich dazu, mich zu fragen, ob wir ein grundlegendes Streben nach dem „unteilbar machen“ fundamental auch während unserer Lebensspanne in uns tragen, weil wir aus dem All-Einssein kommend, dieses als Verlust erleben durch die Geburt in das Individuum-sein hinein, und somit schmerzlich vermissen.

Und dass wir aus diesem Grund ein soziales Wesen sein WOLLEN, ja MÜSSEN, weil wir unbewusst wissen und suchen, dass das unsere grundlegende, inhärente Wachstumsrichtung ist. Das hineinfließen in das große GANZE.

Auf dem Wege wieder dorthinein, in die „Gemeinschaft“ des All-einsseins, durchlaufen wir unsere Lebensjahre. Wir machen Erfahrungen, gute wie schmerzliche, mit und in unseren sozialen Gemeinschaften jeglicher Couleur und kommen damit der endgültigen Bestimmung -ein soziales Wesen zu sein-, im Idealfalle wieder ein Stückchen näher. Damit wir evtl. unseren hier erreichten Entwicklungsstatus dann nach unserem Ableben in die geistige Welt mitnehmen, in das All-Einssein, um vielleicht mit diesem zuletzt erreichten Status neu beginnend wieder in ein anderes Erdenleben zu inkarnieren, vielleicht auf einem „höheren“ Kreis auf der Evolutionsspirale beginnend -eine ewigwährende Entwicklung.

Nun können wir das alles vollautomatisch und ohne große Anstrengungen durchleben.  Dann jedoch „werden wir gelebt“ und kommen wohl eher etwas taumelnd aber am Ende doch gesichert und auf jeden Fall an diese Endbestimmung, zurück ins große Ganze. Es steht uns allerdings frei, uns aktiv an diesem Prozess der Individuation zu beteiligen, ihn zu lenken und zu beschleunigen. Damit verhelfen wir unserem Entwicklungsfortgang vielleicht dahingehend, dass wir aus der ein oder anderen schmerzhaften Erfahrung lernen, uns derer bewusst werden und uns dadurch entwickeln, so dass wir sie nicht (mehr) benötigen. Und wer weiß, vielleicht wird damit auch der „Aufenthalt“ im großen GANZEN doch etwas „komfortabler“, als die ohne unsere irdischen Bestrebungen und Anstrengungen der Fall sein wird.

Mit dieser Impression möchte ich mich für heute bei Ihnen verabschieden mit den gewohnten Assoziationen:

Personalisation / Erkenntnisweg / Ichbild / Selbstbild / Sich selbst bewußt werden / Individuationsprozess / -weg / -prinzip / Individuum / Individualisation / Individualisierung / Kollektive Individuation / Selbstfindungsweg / Identität/ Heilung / Heimkehr / Selbstliebe / Selbstwertgefühl / Selbstsicherheit / Selbstbestimmtheit / Identität / Selbstverwirklichung / Verselbstung (C.G.Jung) / Ablösung / Spaltung / Selbst-Vervollkommnung

 

Von Individuum zu Individuum wünsche ich Ihnen viele guten Erfahrungen auf Ihrem Weg Ihrer Individuation

Reinhilde Burg

© TRILOGOS STIFTUNG 2012. Alle Rechte vorbehalten | Letzte Aktualisierung 17.04.2024