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  • Elementi 13: TRILOGOS Club - Rainer Holbe

    Brief aus der Bretagne

    Rainer Holbe aus Luxemburg, langjähriger Moderator unseres TRILOGOS Forums (Ehrenmitglied), lädt wieder auf eine Reise ein ...

    Diese Zeilen schreibe ich aus dem kleinen bretonischen Dorf Brain. Ich sitze unter einem Kastanienbaum und schaue auf die träge dahin fliessende Vilaine. Am Ufer hält ein einsamer Angler gelangweilt seine Schnüre ins Wasser, über dem blauen Atlantik-Himmel driften ein paar dicke weisse Wolken zum Meer.

    Hier, nur wenige Kilometer von den überfüllten Stränden um St. Malo entfernt, senkt sich eine fast magische Stille über das Land.

    Jede Viertelstunde erinnert eine zarte Glocke vom nahen Kirchturm an die Vergänglichkeit der Zeit.

    Ich komme schon seit Jahren hierher. „Sinn und Sinnlichkeit“ heisst das Ferienseminar, in dem ich mit ganz unterschiedlichen Menschen unter schattigen Bäumen die alten Fragen der Menschheit bespreche: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich? Was ist der Sinn des Lebens?

    Bedeutende Denker haben darüber spekuliert, wie man sein Dasein sinnvoll gestaltet, Glück findet und Unglück vermeidet. Und wenn wir danach in der Mittagsglut im Hain des alten Zauberers Merlin die Decken ausbreiten, den Ziegenkäse verteilen und der rote Wein in den Gläsern steht, dann erfüllt sich das uns zugedachte Mass an Freude auf der Welt: Sinn und Sinnlichkeit. Wir sind mit zwei komfortablen Kabinenbooten auf der Vilaine unterwegs, die sich ab Redon zum Meer hin zusehends verbreitet und zu einem erhabenen Strom wird. Am Kai von Brain lege ich besonders gerne an. Nirgendwo blühen die wasserblauen Hortensien so üppig wie hier, nirgendwo sprudelt eine so klare Quelle wie die in Merlins Hain.

    Inzwischen stehen viele Häuser im Dorf leer, der Bäcker hat schon seit Jahren geschlossen und die Baguettes für das Frühstück hole ich mit dem Fahrrad im nahen Belés. Es gibt noch eine kleine Bar, die über Mittag für einen Pastis geöffnet hält, den ein paar alte Bauern vor dem Mittagessen hier trinken.

    In Brain sur Vilaine habe ich schon manchen Nationalfeiertag miterlebt: Dann füllt sich der sonst einsame Dorfplatz mit fein gekleideten Menschen, die auf den alten Öfen Galette und Crêpe backen und den Cidre in braune Tassen schenken. Beim Fest zu Ehren des Heiligen Melaine ziehen sie mit seinen Reliquien zur alten Kapelle, dem Kultplatz früher keltischer Druiden.

    Noch immer ist es ganz still im Dorf. Der Mittag funkelt in lautloser Glut, keine Wolke ist jetzt am Himmel zu sehen und kein Wort am Ufer zu hören. Gedankenleer ragen die hohen Kastanien in die Höhe, und die blendenden Geschosse der Sonnenstrahlen lassen dichte Laubmassen farbig aufflammen. Wie berauschend und üppig ist ein Sommertag in der Bretagne.

    Informationen über das Seminar: Redaktionsbüro * Maison sur les collines * L 6991 Rameldange * T. 00352-348011 *


    Internet: www.rainer-holbe.de
    • eMail: rholbe [at] compuserve.com ()

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