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Elementi 04: Aus der Schule - Sucht

Individuelles Schicksal, soziale Herausforderung, spirituelle Aufgabe

Ein Bericht von Dr. med. Robert Gerst, Waldeck, Norddeutschland

Suchtverhalten und Süchte gab es sicherlich in allen menschlichen Kulturen. In keiner Epoche jedoch, soweit wir das von heute aus überblicken, haben Suchtverhalten und Süchte ein solches Ausmass angenommen wie in der heutigen Zeit.

Neu und für uns der alarmierendste Aspekt dabei ist, dass Kinder, unsere Kinder, in einem bis dato nichtgekannten Ausmass Suchtverhalten entwickeln und Süchten verfallen.

Forschungsergebnisse aus Psychologie und Medizin zeigen, dass die Psychodynamik Angst mit ihren seelischen und körperlichen Ausdrucksweisen eng mit Sucht und Suchtverhalten verknüpft ist. Sucht und Suchtverhalten dienen sehr oft der fragwürdigen Strategie, Angst und die Angst vor der Angst zu vermeiden.

Legale und illegale Süchte sind inzwischen ausführlichst untersucht. Wir kennen Entstehungsmechanismen, Entwicklungsprozesse und das traurige Ende. Die Rollen, die das jeweilige Individuum spielt, sein persönliches und soziales Umfeld, sind beschrieben. Wir wissen um die statistisch demographischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen der legalen Suchtsubstanzen wie Alkohol, Nikotin, Medikamente, Essen u.s.w. und der illegalen Drogen. Wir kennen aber auch Prozess-gebundene Süchte wie Arbeit (“work-a-holic”), Sport, Spielleidenschaft, Partnerschaft, Sexualität, usw.

Die revolutionärste Entdeckung aber ist die Erkenntnis, dass die sogenannte “Co-Abhängigkeit” nicht nur ein Anhängsel einer Sucht darstellt, sondern ein eigenständiges Suchtverhalten, ein völlig eigenes Krankheitsbild ist.

Nach diesen Erkenntnissen reicht es nicht aus, einen “Co-Abhängigen” mit einem Süchtigen mitzubehandeln, es bedarf auch einer eigenständigen Therapie, um die Spezifitäten von “Co-Abhängigkeit” zu bewältigen.

Das Schockierende, “Co-Abhängigkeit” spielt sich im sogenannten “Normalen” ab und betrifft mich und Dich, Eltern, Erzieher, Lehrer, Psychologen, Ärzte usw., das heisst, jeder kann betroffen sein. Diese Erkenntnisse zwingen jeden, der sich ernsthaft mit Sucht und seiner Bewältigung auseinandersetzen will, die eigenen Bewältigungsstrategien in partnerschaftlichem Verhalten und sozialen Konflikten im weitesten Sinne zu überprüfen.

Analysen von “Co-Abhängigkeit” zeigen aber auch auf, dass die zugrunde liegenden Faktoren dieser Erkrankung die Grenzen des Individuellen überschreiten: Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir dereinst existieren, weisen sämtliche Merkmale eines Suchtsystems auf.

Grundlage und wichtigste Voraussetzung für eine dauerhafte Genese für jeden Süchtigen und “Co- Süchtig-Süchtigen” ist die Annahme einer radikalen Selbstverantwortung für das eigene Leben und Erleben. Dies ist gleich bedeutend mit dem Beginn des Ausstiegs aus dem Suchtsystem.

Ein harter Weg, ein erkenntnisreicher Prozess für denjenigen, der sich der Herausforderung stellt, die Reise in die eigenen Konflikte, Widersprüche und Schattenseiten, in unsere eigenen Unzulänglichkeiten und in unser projektives Verhalten in Bezug auf andere.

Diese Reise anzutreten bedeutet aber auch, sich auf den Pfad spiritueller Entwicklung zu begeben, den “spirituellen Bankrott”, der dem Suchtsystem und seinen Süchtigen anhaftet, zu überwinden.

Denn Sucht, spirituell gesehen, hat etwas mit Suche zu tun, die nahe Verwandtschaft der beiden Worte in der deutschen Sprache weist auf diesen Zusammenhang. Grosse Helden, viele Mythologien waren Suchende von Gigamesch bis Parzival. Ihre Wege sind lang und mit Schwierigkeiten und äusseren und inneren Auseinandersetzungen verbunden und beispielhaft für uns, sie erreichen schliesslich das, was sie suchen. Oftmals hielten sie inne in ihrer Suche und vermeinten das Gesuchte gefunden zu haben, um schliesslich doch wieder desillusioniert aufzubrechen und die Suche fortzusetzen.

Nehmen wir ihr Beispiel an und hüten uns davor, zu meinen, auf unserem Weg der Suche, das, was wir suchen, in Stoffen oder Prozessen gefunden zu haben, sonst droht uns Sucht und Abhängigkeit. “Der Weg ist das Ziel, das Ziel ist der Weg”, die alte Weisheit des “Zen” ist durch die Ergebnisse der modernen Suchtforschung glänzend bestätigt! Lasst uns diesen Weg gehen!

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