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Trilogisches aus dem Archiv

Alles oder Nichts - Eine Reihe von Dr. Hans-Jürg Kessler / Mathematiker

Wir haben für Sie noch einmal in unserem über 30jährigen Fundus nachgeschaut und zu diesem Thema passend erneut hier aufgeschrieben:

Nichts ist nicht gleich nichts

Verehrte Leser, die meisten von uns fragen sich – die einen etwas häufiger, die andern etwas weniger oft – in bestimmten Situationen oder Lebensabschnitten, nach dem Sinn unseres Daseins, nach unserer Herkunft – nicht im gesellschaftlichen Sinn oder der Genealogie (Ahnenforschung) – und nach dem Weg wohin, nach dem "Was danach?" 

Die Antworten auf diese Fragen lassen sich in zwei grosse Gruppen unterteilen: Die naturwissenschaftlich belegten und die philosophischen Antworten.

Ich will mich zunächst einmal den naturwissenschaftlich begründeten Aussagen zuwenden. Sie lassen sich auf einen, zwar materiell nicht rundherum begründeten, aber doch von den meisten Naturwissenschaftern akzeptierten Nenner zurückführen: Unser Sein, und damit meine ich nicht bloss das menschliche Sein, sondern vielmehr das Umfassende, das Universum, erklären uns die Physiker, hat seinen Ursprung im Urknall. Mit der Urknall-theorie lassen sich Aussagen über grundlegende Gesetzmässigkeiten wie die Anzahl der fundamentalen Teilchen machen und auch weitere Erklärungen von grundlegender Bedeutung nachweisen. Ein anderer, hochinteressanter Fragenkomplex – meines Erachtens der grundlegende Bereich – ist aber nach wie vor offen: Woher kommt die Materie im Universum? Wie wurde diese Materie gebildet? Der Fragenkomplex ist vergleichbar mit der Frage: "Was war zuerst, das Huhn oder das Ei?" Ich meine, wir nähern uns mit diesen Fragen stark dem philosophischen Bereich. Bevor ich aber darauf eingehen will, ist noch ein weiterer Hinweis im Rahmen der Naturwissenschaften in Bezug auf die Materie notwendig. Einsteins berühmte Beziehung für Energie und Masse:

E = m * c2

besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass Energie E und Masse m dasselbe sind. Sie unterscheiden sich nur in ihren Einheiten und dem Umrechnungsfaktor c, der Lichtgeschwindigkeit.

Damit will ich den naturwissenschaftlichen Teil einstweilen im Raum stehen lassen und mich dem philosophischen Aspekt zuwenden. Die Religionsphilosophie der christlichen Glaubenslehre weist unsere Herkunft, unser Sein, im Gesamtbild von Thomas von Aquin über den Gottesbeweis einem von uns geschaffenen Gott oder besser Gottesbild zu, was mich einst zur blasphemisch anmutenden Frage veranlasste, wer den Gott erschaffen habe. Andere philosophische Ausrichtungen, z. B. die Vorsokratiker wie Parmenides von Elea ( um 540 v. Chr. ) sind mit ihrer Aussage: Ex nihilo nihil – Aus Nichts wird Nichts, schon eher geeignet, den Bogen zur aktuellen Urknalltheorie zu schaffen.

Beiden Gruppen möglicher Antworten ist eines gemeinsam: Wir erreichen einen (singulären) Punkt, von dem es bis heute weder aus der Sicht der Naturwissenschaft noch aus der Sicht der Philosophie ein Vorwärts und Zurück gibt.

Gehen wird von der als richtig angenommenen Aussage, dass Energie und Masse gleichwertig sind, aus, und verbinden damit die ebenfalls nicht bestrittene Tatsache, dass Energie nicht verloren gehen kann - sie wandelt sich lediglich – sowie die vorsokratische Philosophie, meine ich ein gangbares und akzeptables Modell zur Beantwortung des Eingangs aufgezeigten Fragekomplexes aufzeigen zu können.

Unsere aktuellen Energien sind in der Beschreibung ihrer Auswirkung systemabhängig. Unsere Sonne spendet uns einerseits Helligkeit, genau dieselbe Sonne spendet uns aber auch Wärme. Helligkeit und Wärme sind unterschiedliche Auswirkungen ein und derselben Energie. Sie sind von ihrer materiellen Umgebung abhängig und entsprechend nehmen wir sie verschieden wahr. Elektrizität ist ebenfalls eine Energieform, die verschiedene Auswirkungen zeitigen kann, ohne dass wir sie optisch erkennen können. (Energie kann allgemein, im Gegensatz zur Masse, gleichsam eine materialisierte Energieform, optisch nicht wahrgenommen werden.) Beiden als Beispiel erwähnten Energieformen ist gemeinsam, dass ihre Wirkung und ihr Erkennen von Systemen abhängig sind. Von uns Menschen erkannte Systeme wiederum sind materiell abhängig: Wir Menschen sind Teil der Materie / Masse des Universums, weshalb wir Energie verschieden erkennen und wahrnehmen. Anders formuliert: Energieformen lassen sich nur materiell bezogen unterscheiden; z.B. im nahezu masselosen All, welches von den Sonnenstrahlen durchzogen wird, ist kein Sonnenlicht erkennbar. Das Licht lässt sich erst in Verbindung mit Masse / Materie erkennen. Dasselbe gilt ebenso für die Wärmeenergie. Dies wiederum lässt den Verdacht aufkommen, dass die Materie, deren Herkunft und Entstehung nach wie vor im Dunkeln liegt, zumindest philosophisch nicht gleichwertig zur Energie ist. Bringen wir endlich noch die Erkenntnis ein, dass Masse / Materie in ihrer Form vergänglich ist, während Energie in ihrer Form veränderlich, aber nicht vergänglich ist, so stellt sich die Frage, ob hinter der Energie letztendlich nicht doch noch etwas mehr als nur eine naturwissenschaftliche Erscheinung steckt.

Als nicht verschwindende Komponente unseres Seins, so darf zumindest angenommen werden, müsste die Energie in irgendeiner Form bereits unmittelbar nach dem Urknall bestanden und mit diesem eine erste Differenzierung erfahren haben, eine Verschiedenartigkeit hervorgerufen durch die im Urknall entstandenen "Urelemente". Die Fragen stehen im Raum: "Was war zuvor?" und "Wie kam es zum Urknall?" Mit letzter Gewissheit werden wir – ich wage die Behauptung – keine Antworten auf diese Fragen finden. Aber wäre nicht zu überlegen, ob die Energie nicht bereits vor dem Urknall, ohne materielle Einflüsse, schon vorhanden war: Eine Ursuppe ohne Suppenteller in Energie-form? Nicht differenzierte (unterscheidbare) Energie, ohne Grenzen, ohne "Fremdkörper" und ohne Bezugspunkte, einheitliche Energie in einem einheitlichen Umfeld, erfüllt nur von einheitlicher Energie. Wahrlich ein absoluter Zustand, der aber auch gleichzeitig sämtliche Freiheiten beinhaltet, von denen wir nur träumen können. So auch die Freiheit, sich selbst differenzieren zu können, den Urknall zu inszenieren.

Quelle: ELEMENTI 2004 Herbst Nr. 23

 


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